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: Baseball-Boom in Detroit

Rentner und Raubtierdompteur: Wie Coach Jim Leyland aus den Tigers ein ambitioniertes Team geformt hat

Detroit ist eine gebeutelte Stadt. Seit die dort ansässige Automobilindustrie schrumpft, explodieren die Arbeitslosenzahlen und Kriminalitätsraten. 21 Prozent der Haushalte leben unter der Armutsgrenze, und keine andere Großstadt in den USA verliert so rasant an Einwohnern. Doch immerhin an ihren Sportteams konnten sich die verbliebenen Detroiter aufrichten: Zwar krepeln die Lions bereits seit Ewigkeiten in den Niederungen der Football-Liga NFL herum, aber immerhin die traditionsreichen Red Wings und Pistons spielen meist um die Meisterschaften mit. In diesem Frühjahr allerdings mussten sich die Eishockey spielenden Red Wings bereits in der ersten Playoff-Runde der NHL geschlagen geben. Auch die Basketballprofis der Pistons blieben unter ihren Möglichkeiten und schieden bereits im NBA-Halbfinale aus.

Richtig frustrierend für einen Detroiter Sportfan allerdings wird es gewöhnlich erst im Sommer, wenn der Baseball den amerikanischen Sport beherrscht. Doch ausgerechnet die Detroit Tigers, jahrzehntelang die Kellerkinder der American League, sind momentan das erfolgreichste Baseball-Team des Landes. 62 Spiele hat man bislang gewonnen und nur 30 verloren – solch eine gute Bilanz hat keine andere Mannschaft der Major League Baseball (MLB) momentan aufzuweisen. Dabei hatten die Tigers in den letzten zwölf Jahren doch stets mehr Niederlagen als Siege eingefahren, und sogar 19 Jahre ist es her, dass man sich das letzte Mal für die Playoffs qualifizieren konnte.

Ein sensationeller Umschwung, zumal er mit relativ bescheidenen Investitionen in Neuzugänge zustande kam. Zwar gab man für den bereits 41-jährigen Pitcher Kenny Rogers im vergangenen Winter nach Meinung vieler Experten einige Millionen zu viel aus, aber die wichtigste Verstärkung ist sogar noch älter und zudem Kettenraucher: Seit der 61-jährige Jim Leyland die Mannschaft übernommen hat, ist es ihm vor allem gelungen, ihre psychologische Verfassung zu verändern. „Die Spieler müssen entscheiden, ob sie genug davon haben, als ein Haufen netter Typen zu gelten, die die Mütze voll kriegen“, grummelte er im Trainingslager im März. Fortan kritisierte er seine Profis durch die Medien und weinte schon mal nach Siegen in letzter Sekunde. „Er weiß, wie man die richtigen Knöpfe drückt“, nennt das Pitcher Todd Jones. Aus den Tigers, die sich mit den Jahren ans Verlieren gewöhnt hatten, ist ein Team mit dem Glauben ans eigene Können geworden, und Leyland ist der einzige Kandidat für den Titel „Coach des Jahres“.

Dabei sieht der hagere Leyland, als Spieler ein nur zweitklassiger Profi, aber als Trainer meist erfolgreich, mit seinen weißen Haaren und Schnurrbart nicht nur aus wie ein Rentner, sondern befand sich tatsächlich im Ruhestand. 1997 hatte er noch mit den Florida Marlins die World Series gewonnen, um sich zwei Jahre später zurückzuziehen. „Wenn ich niemals mehr trainiert hätte, wäre ich auch glücklich gestorben“, sagt er, „aber ich habe den Wettkampf vermisst, die drei Stunden jeden Tag, die das Spiel dauert.“

Dass Detroit nun tatsächlich um den Titel mitspielt, das überrascht nicht nur Bud Selig: „Die Geschichte dieser Saison“, nennt der MLB-Boss den Erfolg der Tigers. Diesen Erfolg so lange wie möglich zu genießen, empfiehlt derweil Raubtierdompteur Leyland seiner jungen Mannschaft, der viele einen Einbruch im letzten Saisondrittel prophezeien: „Sie sollten besser ihren Spaß haben, denn wer keinen Spaß hat am Gewinnen, der sollte lieber nach Hause gehen.“ Der ehemalige Rentner weiß aus eigener Anschauung, dass es dort mitunter langweilig werden kann. THOMAS WINKLER