School of Pop

Deutschlands erste Akademie für Popmusik steht in Mannheim – und für den Anspruch, die Passion mit viel Disziplin in eine Profession zu verwandeln, mit der man später auch die Miete bezahlen kann. Ein Besuch bei den Studierenden

VON JOCHEN SCHÖNMANN

Für eine Sekunde erscheint Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Mannheim, wie ein gewöhnlicher Professor: Schütteres, wenn auch etwas längeres Haar, schwarz gerahmte Brille, helles Hemd. Dann ist die Sekunde vorbei und Dahmen sagt einen Satz wie: „Ohne ein gesundes Maß an Anarchie kommt am Ende nur Scheiße raus!“

Weder der Professor noch das gesamte System der Popakademie passen in irgendein Raster. In einem bundesweit einmaligen Projekt studieren inzwischen 146 junge Künstler Fächer wie „Popmusikdesign“ oder „Musikbusiness“ in Mannheim. 56 von ihnen haben gerade ihren Abschluss gemacht. Sie sind nun bereit für ihre Karriere als Rockstar oder Bandmanager.

„Unser Konzept ist, die ganzen Typen auf einen Haufen zu bringen, dann unter akademischer Anleitung alles kräftig durchzumischen und zu sehen, was dabei herauskommt“, erklärt Dahmen. „Am Ende sollen die Leute in der Lage sein, mit Musik ihre Miete zu zahlen.“

Wer durch das vor zwei Jahren frisch hochgezogene Gebäude der Popakademie im Mannheimer Stadtteil Jungbusch spaziert, merkt ziemlich schnell, das hier andere Maßstäbe gelten: Aus jeder zweiten Tür kreischt eine verzerrte E-Gitarre, man hört wildes Trommeln oder dumpfen Bass. Was genau lernt man hier? Etwa, wie man fachgerecht ein Hotelzimmer zerlegt, so wie Guns ’n Roses zu ihrer besten Zeit?

Aber der erste Eindruck von einem fulminanten Chaos täuscht: Etwa 600 junge Leute pro Jahr bewerben sich an der Popakademie, nur rund 50 davon bekommen die Chance, hier zu studieren. Denn schon die Aufnahmeprüfungen haben es in sich. Wer als deutscher HipHopper daherkommt, wie Danny Fresh zum Beispiel, der findet sich plötzlich in der Situation wieder, Klassiker von Barry White improvisieren zu müssen: „Da erstarrst du in einer Sekunde zu Eis“, erzählt er im Rückblick.

„Ohne Druck geht es nicht“, sagt auch Dahmen. „Zu Hause im Proberaum ist jeder Weltmeister.“ Und deshalb ist auch das Studium selbst alles andere als eine endlose Rock-’n’-Roll-Party. Die Prüfungen sind hart. Verlangt wird Disziplin und spontane Kreativität. „Man steht vor den Prüfern und plötzlich bekommt man ein Volkslied vorgesetzt und soll die zweite, dritte und vierte Stimme spontan aufsingen“, erzählt Ziggy Haas, Songwriter im vierten Semester, der mit seiner inzwischen auch überregional bekannten Band My Baby Wants To Eat Your Pussy nicht eben für die Verbreitung von heimatlichem Kulturgut sorgt.

„Als Musiker hat man es nicht einfach, dass muss hier jeder gleich merken“, warnt Dahmen vor falschen Vorstellungen. „Deshalb schaffen wir hier vom ersten Tag an einen Markt, auf dem sich jeder beweisen muss.“ Markt, das bedeutet Knappheit. Deshalb gibt es immer mehr Songwriter als Bands. Die besten Texter bekommen die besten Musiker, die anderen müssen eben nachlegen.

Das Chaos hat also Methode. Die skurrilsten Typen müssen sich hier zusammenfinden. Und sie sollen teamfähig werden. Fächerübergreifend. Instrumentalisten, Songwriter, Manager – von Anfang an verzahnt sich alles. Die Kontakte, die hier geknüpft werden, sind wichtig für die Zeit danach, wenn es darum geht, von der Musik zu leben. „Der Netzwerkgedanke war immer Teil des Konzepts“, nickt der Professor.

Zu diesem Netzwerk gehören auch die Dozenten, die fast ausnahmslos als Gastredner arbeiten und direkt aus der Szene kommen. Stars wie Xavier Naidoo, Smudo oder Tim Renner, der ehemalige Geschäftsführer von Universal, halten Vorlesungen, geben Workshops und suchen nach Talenten. Danny Fresh ist einer von denen, die es geschafft haben: Er hatte dieses Jahr schon 15 Gastauftritte mit dem Mannheimer Musiker Xavier Naidoo. Ein Traumstart.

Die Integration in die Szene geschieht idealerweise fließend. Dafür ziehen alle an einem Strang: Studenten, Stadt und Musikindustrie. Die Stadt Mannheim ist zu einem Drittel an der Popakademie beteiligt, am angrenzenden Musikpark, dem ins Gesamtkonzept integrierten Existenzgründerzentrum für Musikwirtschaft, sogar zu 100 Prozent. „Wir sehen in den Projekten Popakademie und Musikpark die Chance, das Gesicht dieser Stadt zu verändern“, sagt denn auch Mannheims Kulturbürgermeister Peter Kurz (SPD) und gibt sich überzeugt: „Hier entsteht der Imagewandel, von der Arbeiterstadt zur Kreativindustrie.“

Kein Wunder, dass Kurz sein Mannheim schon auf dem Weg zur heimlichen Musikhauptstadt wähnt: Auch das größte Open-Air-Festival des Landes, die „Arena of Pop“, ist hierher gezogen. Ursprünglich war das Spektakel in Stuttgart zu Hause, unterstützt vom Südwestrundfunk (SWR). Als die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Vorstellungen bei der Gebührenanpassung nicht durchsetzen konnten, machten die cleveren Mannheimer Nägel mit Köpfen: Sie schlugen dem SWR vor, die Veranstaltung mit dem privaten Sender Radio Regenbogen zu finanzieren, der in Mannheim seinen Stammsitz hat – so hat das prestigeträchtige Festival seine neue Heimat am Rhein gefunden, nach wie vor unterstützt vom Land Baden-Württemberg. Mehr als 160.000 Menschen feierten dabei am vergangenen Samstag bei einer Gluthitze rund um das Mannheimer Schloss ihre lebendige Musikstadt. Sieben Gruppen traten auf, unter anderem das ehemalige Spice Girl Melanie C und der Latin-Star Juanes.

Doch es wäre keine lebendige Szene, wenn es nicht auch andere Stimmen gäbe: Popmusik könne man nicht studieren, heißt es. Ein Rockstar-Diplom? Lächerlich. Aber diese Stimmen bleiben verhalten, und sogar bei den Kritikern wird durch die Akademie die Fantasie angeregt: Sie gründeten, ebenfalls in Mannheim, eine „Rock ’n’ Roll Highschool“ als Gegenbewegung. Und hier lernt man wirklich was fürs Leben, wie ein Blick auf die angebotenen Kurse beweist: „Große Haufen machen“, „Groupies vernaschen“ oder „Gitarren zertrümmern“ gehört hier zum Programm. Was eben so zum Geschäft dazugehört.