JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: „Die Petra hatte es ja nie leicht“

Gespräch über das Klassentreffen in Bremerhaven: ein triumphaler Rückblick auf Erlittenes

Am Anfang kam eine Mail. Berichtet Verena neulich bei einem Caffe latte irgendwo in Brandenburg. Ob man wirklich die und die sei – jedenfalls jene, die damals, in den Siebzigern, in diese bestimmte Klasse in Bremerhaven ging. Ja, die sei man, schrieb sie zurück. Woraufhin eine Einladung zum Klassentreffen folgte. Nach drei Jahrzehnten, ein Wiedersehen mit Gesichtern, denen sie vier Jahre auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Verena kommt ins Schwitzen. Der blöde Michael, Vater Bauingenieur, der sie immer angrub, den sie nicht wollte, weil er lispelte. Soll bei der Feuerwehr geendet sein. Sie selbst, Leiterin des Marketings einer Leichtmetallfirma nahe der polnischen Grenze, war damals eine Art Aschenputtel der Klasse, nur noch unscheinbarer. Akne, immer zu fettige Haut, etwas zu breite Hüften. Ich nickte. Das muss Horror gewesen sein.

Sie fuhr also hin. Hatte ja was zum Vorzeigen. Auf dem zweiten Bildungsweg studiert, Lehrerin geworden, an ihren SchülerInnen irre geworden, „immer dieses Entertainment, das ging mir dann doch auf die Nerven“. Hoffte auf Stefan, den sie zwischen achter und zehnter Klasse anhimmelte, aber abfahren ließ, als der ihren Lockungen nicht mehr widerstehen wollte, „ich hatte Angst vor ihm, der wirkte so treu plötzlich“. Wie würde sie also dastehen? Essen in einem Restaurant beim Zoo, nicht zu teuer, nicht zu billig, die Organisatorinnen mussten diese preisliche Mittellage beachten – niemand soll denken, er oder sie könne sich nichts leisten. Weder Sterneschnöseligkeit – geht in Bremerhaven ohnehin nicht – noch Leichtlohngruppenambiente.

Dieses einst wie gerupft aussehende Entlein, das es zum taffen Weib gebracht hat, beruflich und familiär, drei Kinder, außerdem Mr Right nach einer Scheidung auch noch getroffen –„bei einer Kanufahrt mit der Gewerkschaft“ –, diese keineswegs früh verblühte Schönheit verfinsterte sich.

Sind die Kotzbrocken wieder da, all die Werners und Karins und Petras und Michaels, die immer Geld hatten und auf diese gewisse überlegene Art lachen konnten, die nur dies anzeigte: Wir wissen, wie das Leben funktioniert. Die Furcht war in Verenas Antlitz in Runzeln zu sehen. Und dann löste sich ihre Miene, sagte: „Na, ich fuhr hin – und musste nur dasitzen.“

Der Michael wollte ja Elektroingenieur werden und hockt nun im Lager eines Hamburger Aluminiumwerkes; die Susi, immer der Welt zugewandt, verdient etwas hinzu, am Empfang der Bezirksdirektion einer Versicherung; der Stefan hat einen mobilen Fliesenservice, „ist aber alles knapp“, und die Petras, gleich drei, sind, sie gackert unverhohlen, „alles fette Kühe geworden“. Hatten Marilyn Monroes passbildgroßes Bild aus der Bravo ausgeschnitten und in ihre Portmonees gesteckt, „heute sehen sie so unglücklich aus wie die Monroe schon immer war“.

Muss man nicht feinfühlig eingreifen in ein solches Gespräch? Sensibel die Hand auf den Unterarm der Freundin legen und zu bedenken geben: „Liebes, Rache macht hässlich.“ Aber was soll ich sagen? Sie sieht einfach super aus, die hat ihre inneren Schäfchen weitgehend im Trockenen – keine Pusteln im Gesicht und alle Narben verheilt, keine, die sie schmerzen, ja, beschweren wie ein Rocksaum fiese Kletten.

Michael jedenfalls lispelt immer und trägt weiße Socken zu schwarzen Sandalen – trotz Leinenanzug. Aber Verena, woher dieses glühende Interesse am Straucheln? Durftest du bei ihnen nie abschreiben? „Die haben bei mir abgeguckt. Aber als es dann um Jungs ging“, lacht sie, „gingen sie los und sagten, ich sei über meinen Büchern besser aufgehoben.“ Dann holt sie aus und wird mild. „Na ja, die eine Petra hatte es ja auch nie leicht. Keine Ausbildung, zog mit ihrem Freund zusammen, kriegte ein Kind und fand Verkäuferin zu sein in Ordnung.“ Alkohol war auch im Spiel, setzte Verena mit einer Spur von Lächeln fort, „die hatte sich nicht gut im Griff“.

Sagte es, bezahlte die Rechnung, fragte, ob wir noch woanders was trinken wollte … und sagte nur: „Klassentreffen? Ich freue mich auf das nächste. Am liebsten jede Woche.“

Fotohinweis: JAN FEDDERSEN PARALLELGESELLSCHAFT Fragen zum Klassentreffen? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH