Neuerdings tragisch

GOTHIC Fantôme heißt das neue Projekt der einstigen Sirene von Atari Teenage Riot, Hanin Elias

Es ist nicht immer einfach, eine Ikone zu sein. 21th Century Punk Goddess. Das schöne Gesicht des Polit-Techno-Punk. Die Sirene von Atari Teenage Riot. So was kann schon mal nerven. Hanin Elias nervt es offensichtlich. In den Interviews, die man anlässlich des ersten Albums ihres neuen Projektes Fantôme lesen kann, vergisst sie nicht darauf hinzuweisen, dass sie die legendäre Band bereits „vor Ewigkeiten“ verlassen hat.

Atari Teenage Riot lösten sich im Jahr 2000 auf. Und seitdem war Elias beileibe nicht untätig. Die Reunion der Berliner Band vor vier Jahren aber fand ohne sie statt, weil Elias kurz vor dem ersten Comeback-Konzert wegen angeblicher Stimmprobleme von ATR-Alleinherrscher Alec Empire gefeuert wurde. Es gab viel böses Blut damals, aber heute versucht Elias die Episode als Glücksfall zu sehen. Als Mitglied von Atari Teenage Riot hätte sie wohl keine Zeit gehabt für Fantôme.

Kein digitaler Hardcore

Tatsächlich klingt „It All Makes Sense“ fast wie ein Gegenentwurf zum Digital Hardcore von Atari Teenage Riot. Weder ist das Klangbild des Fantôme-Debütalbums allzu digital, noch ist es – trotz üppiger Gitarren – Hardcore-Punk. Statt Geschrei, Lärm und Bollerbeats wie einst erinnert sich Elias nun vor allem ihrer Wurzeln in der Gothic-Szene. Die stets leicht ins Tragische lappenden Songs im angedunkelten Breitwandsound, die Elias zusammen mit Marcel Zürcher aufgenommen hat, hätten so auch schon Mitte der achtziger Jahre entstehen können.

Was nicht allzu überrascht, wenn man weiß, wo Zürcher herkommt. Seit 2005 ist er hauptberuflich Gitarrist der Düsseldorfer Industrial-Rockband Die Krupps, die 1980 gegründet wurde. Zuvor hat er Schlagzeug gespielt in legendären Polit-Punkbands wie Abwärts oder Razzia. Für „It All Makes Sense“ hat er alle Instrumente eingespielt, Elias war für Texte und Gesang zuständig. Produziert wurde das Album in Paris von David Husser und Paul Kendal, die schon für Depeche Mode gearbeitet haben.

All das kann man zwar hören, aber nur in homöopathischen Dosierungen. Der eine oder andere Rhythmus aus dem Computer, das seltene Geräusch wie aus der Maschinenhalle. Im Großen und Ganzen ist „It All Makes Sense“ eine meist in mittlerem Tempo pumpende Düster-Rock-Platte, die sich schon aus Prinzip keine modischen Sperenzchen gönnt – außer einem Gastauftritt der Schauspielerin Asia Argento, Freundin von Hanin Elias und Tochter des Italo-Horror-Regisseurs Dario Argento.

So rückwärtsgewandt der Sound auch sein mag, für Elias ist Fantôme eine Neupositionierung. Die in Deutschland als Kind syrischer Eltern geborene, in Berlin aufgewachsene Musikerin hatte Mitte der Nullerjahre diverse Solo- und Gemeinschaftsrojekte und das eigene Label zu den Akten gelegt, sich aus der Musik zurückgezogen und war für fünf Jahre auf eine Insel in Französisch-Polynesien gezogen. 2010 kam sie zurück nach Berlin. Auf ihrem ersten Solo-Album nach der Pause, „Get It Back“, schien sie noch auf der Suche, war mal die alte kreischende Hanin Elias, aber auch Sängerin und Rapperin, und konnte sich zwischen vielen Stilen von Dubstep über Funk bis HipHop nicht so richtig entscheiden. Die Zeit der Entscheidungsfindung liegt hinter ihr. THOMAS WINKLER

■ Fantôme: „It All Makes Sense“ (Snowhite/Rough Trade). Live am 31. Januar, 23 Uhr, im White Trash Fast Food