Libanons Zukunft hängt an der Hisbollah

Einen Waffenstillstand wird die Miliz als Sieg feiern, eine militärische Niederlage wird sie radikalisieren. Droht ein neuer Bürgerkrieg?

BEIRUT taz ■ Im Stundentakt liefen gestern die Schiffe mit Flüchtlingen aus dem Hafen von Beirut aus. An Bord befanden sich Menschen, die das Glück haben, einen ausländischen Pass zu besitzen und von ihren Staaten evakuiert zu werden. Ein britisches Kriegsschiff brachte 180 Briten nach Zypern. Eine norwegische Fähre transportierte Skandinavier und Amerikaner zur benachbarten Insel, während ein von den US-Behörden gechartertes Schiff Amerikaner und Australier evakuierte. Bei denen, die zurückbleiben müssen, hinterließ dieser Anblick ein mulmiges Gefühl. „Die in See stechenden Schiffe voller Ausländer zeigen, dass der Krieg weitergehen wird und uns die internationale Gemeinschaft endgültig unserem Schicksal überlassen hat“, erklärte der libanesische Kolumnist der Tageszeitung Al-Mustaqbal, Michel Nofal, seine Sicht der Dinge.

Kaum einer glaubt daran, dass die israelische Armee, die militärische Infrastruktur der Hisbollah tatsächlich zerstören kann. Der militärische Teil der Hisbollah arbeite im Geheimen und selbst die meisten Libanesen hätten keine Ahnung, wer wo arbeitet, erklärt Amin Kammuriyeh, ein Journalist der libanesischen Tageszeitung An-Nahar. Manchmal entschuldigt sich jemand im Büro, weil er angeblich eine kranke Tante besuchen geht, und die Leute fragen sich, ob er in Wirklichkeit in den Süden zum Kämpfen fährt“, erzählt er. Anders als die Parlamentsabgeordneten der Hisbollah, die in den letzten Tagen auch untergetaucht sind, sind die militärischen Köpfe der Organisation in der Öffentlichkeit vollkommen unbekannt.

Bisher hat es die israelische Armee noch nicht einmal geschafft, die Propagandamaschine der Hisbollah auszuschalten. Zwar wurde das Fernsehgebäude des parteieigenen Senders Manar am zweiten Tag des Krieges dem Erdboden gleichgemacht, der Sender strahlt aber munter weiter seine stündlichen Nachrichten und Talkshows aus. „Selbst wenn es den Israelis gelingen sollte, am Ende doch die militärischen Kapazitäten der Hisbollah zu zerstören, es würde der politischen Anziehungskraft der Gruppe nicht schaden“, schreibt die libanesische Tageszeitung Daily Star. „Im Gegenteil“, führt das Blatt aus, „mit jedem Militärschlag gegen die Hisbollah kochen die Gefühle hoch, die diese Widerstandgruppen inspirieren“.

Solange die Militärschläge andauern, geben sich die Libanesen geschlossen gegen Israel, aber die Diskussion über die Verantwortung für die jüngste Eskalation hat begonnen. Saad Hariri, der Sohn des ermordeten ehemaligen sunnitischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, macht die Hisbollah verantwortlich, erklärt aber, dass die Rechnung dafür später präsentiert werde. Drusenführer Walid Dschumblat hat Libanon als „ein Opfer zwischen Israel und der Hisbollah“ bezeichnet, und die Christen sind in ihrer Unterstützung für die Hisbollah und deren syrische Mentoren gespalten. Kammuriyeh malt zwei düstere Szenarien für die Zukunft des Libanon. Falls es einen Waffenstillstand geben sollte und die verschleppten israelischen Soldaten gegen zwei in israelischen Gefängnissen einsitzenden Libanesen ausgetauscht werden, vermutet er, wird sich die Hisbollah zum Sieger erklären. Das bedeute, dass sie den anderen politischen Gruppen ihre Bedingungen in Zukunft diktieren könne.

„Wenn sich die Hisbollah als Verlierer fühlt, werden die anderen politischen und konfessionellen Gruppen nicht mit ihr, sondern mit den Schiiten als Ganzes abrechnen“, fürchtet Kammuriyeh. Die wiederum würden sich dann als Opfer fühlen und noch mehr an die Hisbollah heranrücken. „Dann aber einer noch radikaleren Hisbollah“, glaubt er. „Ich kann mir hier in Zukunft Szenen zwischen Schiiten und Sunniten vorstellen, wie wir sie heute bereits im Irak erleben“, prophezeit er düster.

Die Zutaten für einen erneuten libanesischen Bürgerkrieg wären zusammengemischt. Alle Faktoren, die einst zu dem 16-jährigen Bürgerkrieg zwischen den konfessionellen Gruppen im Libanon führten, seien noch vorhanden, argumentiert der Journalist und führt aus: „Die haben wir nur ins Eisfach gelegt. Wenn sie wieder herausgeholt werden, werden sie schneller auftauen, als uns lieb ist.“ Karim El-Gawhary