Ohne festen Wohnsitz

PERFORMANCE Efthymios Perennis wechselte 61-mal die Gastgeber. Diese Kunstaktion hat er im West-Germany dokumentiert

Der Himmel sah mal wieder sehr spektakulär aus, am Abend, und Dutzende standen im Görlitzer Park, um die schicken rosa Wolken zu fotografieren. Ich war auf dem Weg ins West-Germany, um eine Performance zu gucken.

Die Geschichte hatte sich interessant angehört: Anfang April war der griechische Künstler Efthymios Perennis auf eine Forschungsreise gegangen. 61 Tage hatte er jeden Tage in einer anderen Wohnung bei einer anderen Person in Berlin gewohnt. Ziel war es gewesen, „die Grenzen der Einsamkeit in der Menge“ zu untersuchen. Ich fand das sehr einleuchtend, denn mein Grundgefühl ist auch eher so I- can’t-relax-at-home-mäßig.

Am Mittwochabend im West-Germany am Kottbusser Tor fasste der Künstler erste Ergebnisse zusammen. Der Hochsommer hing noch in den Räumen. Zunächst war es sehr leer. Vereinzelt tröpfelten potentielle Besucher herein und blieben an der Eingangskasse stehen, um sich vom Künstler und den zwei Frauen an der Kasse erklären zu lassen, was genau sie erwarten würde. „Was ist das? ’n Film oder so?“ – „Ja, ja, genau!“ Manche beratschlagten lange, ob ihnen das Angekündigte vier Euro Eintritt wert wäre, verschwanden dann wieder oder gingen hinein, um zunächst noch eine Weile von der Terasse den schönen Blick auf den U-Bahnhof Kottbusser Tor zu genießen.

An der Wand hingen vier gutaussehende Textcollagen mit fettgedruckten Schlüsselwörtern und tagebuchhaften Notizen zu den unterschiedlichen Aufenthalten. Drei der Bilder waren blau eingefärbt. Efthymios Perennis rauchte und erzählte. Die ganze Geschichte hätte also damit begonnen, dass er letztes Jahr für zehn Tage seine Wohnung hatte verlassen müssen. Dann hatte er sich überlegt, das auszudehnen und zum Projekt zu machen. Aus Freunden und Zufallsbekannten hatte sich ein Netzwerk gebildet, dessen Entwicklung der Künstler beobachtete. Irgendwann war ihm allerdings aufgefallen, dass alle seine Gastgeber selber Künstler waren.

40 Leute beobachteten den Künstler, der zunächst Videos seiner Aufenthalte zeigte. Bei jedem Aufenthalt hatte er eine Stunde gefilmt. Man sieht ihn Kaffee trinken mit einer Frau aus Martinique in der Boddinstraße; ein Mann aus Mitte spielt ein Lied der Gruppe Mädchen Verstärker, die nach der Performance noch auftrat.

Der überstrapazierte Vanitaseffekt

Das Lied heißt „Komm, lass uns gehen“ und handelt von Selbstmord. In Friedrichshain schaut er sich zusammen mit seinem Gastgeber 70er-Jahre-Super-8-Filme aus Mallorca an. Dann wechselte man von den im Video gezeigten Super-8-Aufnahmen aufs Original, das auf einer anderen Leinwand gezeigt und von experimenteller Livemusik mit Cello und Schlagzeug begleitet wurde. Der durch Kratzer und Fusseln erzeugte Vanitaseffekt wurde etwas überstrapaziert. Danach versuchte Efthymios Perennis sein Projekt mit einem komplizierten Diagramm zu erklären. Es ging also um den Künstler und Gast, der gleichzeitig Zuschauer seiner selbst ist und mittels verschiedener Medien mit seinen Gastgebern, die selber Künstler sind, in Kontakt tritt, und auch darum, dass das alles nun hier noch einmal präsentiert wird, begleitet auch von Künstlern, bei denen Perennis zu Gast war. Wenn ich’s richtig verstanden hab. Am besten sah es eigentlich aus, als Perennis auf sein gezeichnetes Diagramm weitere Bilder projizierte. Er ist noch in der Anfangsphase der Auswertung. Ich dachte an eine Freundin aus den 80ern, die in zwei Jahren 46-mal umgezogen war. DETLEF KUHLBRODT