Sterben und lesen lassen

ANGST Bestsellerautor Henning Mankell hat Krebs und will darüber eine Kolumne schreiben. Krankheit und Tod sind kein Tabu mehr – solange man die richtige hat

Mankells Beispiel zeigt, dass die inflationäre Klage von der Verdrängung des Todes aus dem Leben obsolet geworden ist

VON MARTIN REICHERT

Henning Mankell, Erfinder des Ystader Kommissars Kurt Wallander, hat es im Alter von 65 Jahren erwischt. Vor zwei Wochen diagnostizierten seine Ärzte Krebs, einen Tumor im Hals, einen in der Lunge. Geht das jemanden etwas an?

Ja, denn Henning Mankell hat sich entschlossen, mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Er beabsichtigt, in der Zeitung Göteborgs Posten regelmäßig über seine Erfahrung mit der Krankheit zu schreiben, in Form einer Kolumne. Er will darüber schreiben, weil es für ihn um Schmerz, Leid und Ängste geht, die alle Menschen betreffen.

Für jemanden, der sich als Schriftsteller ein Leben lang darin geübt hat, sich der Öffentlichkeit mitzuteilen, ist das konsequent – man denke etwa an den verstorbenen Wolfgang Herrndorf, der seine Krebserkrankung in Form eines Blogs verarbeitet hatte, das posthum unter dem Titel „Arbeit und Struktur“ als Buch erschienen ist. Sowohl Herrndorfs als auch Mankells Beispiel zeigen, dass die zum Gemeinplatz gewordene Klage von der Verdrängung des Todes aus dem Leben – und aus dem öffentlichen Raum – obsolet geworden ist. Früher, so hieß es immer, sei man im Kreise der Familie gestorben. Früher, so klagten die klerikalen Sachwalter über Leben und Tod, sei der Tod Teil des Lebens gewesen.

Allerdings ist er das ja noch immer, zwangsläufig. Verändert haben sich die Umgangsweisen. Wer, wie die Mehrzahl der Bürger in modernen Gesellschaften, eben nicht in einer Großfamilie lebt, ist froh, wenn er Zuflucht in einer palliativen Einrichtung findet. Es ist auch nicht so, dass der Tod verdrängt würde, im Gegenteil ist ein wachsendes Interesse an einem autonomen Umgang mit ihm zu verzeichnen – Stichwort: Sterbehilfe. Oder, um auf Wolfgang Herrndorf zurückzukommen, der Freitod.

Althergebrachte Selbstverständlichkeiten von der Wiege bis zur Bahre gibt es nicht mehr, vielmehr möchte man sich die Form seiner Beerdigung selbst aussuchen und diese gestalten. Der eine bevorzugt den Friedwald, andere möchten sich zu einem Diamanten pressen lassen oder ins Meer gestreut werden. Sogar die Trauerfeiern werden zunehmend agnostisch gestaltet, mit spezialisierten Rednern und einer individuell zusammengestellten Playlist.

Nun ist Henning Mankell nicht gestorben, sondern schwer erkrankt – doch auch das Reden über Krankheiten ist längst gesellschaftsfähig. Bis hin zur Depression. Doch es gibt Einschränkungen: Bei Mankell wurde Lungenkrebs diagnostiziert. In Netzforen wird jetzt schon nachgehakt: War er etwa Raucher? Ja, war er. Aber er hat vor zwanzig Jahren aufgehört. Ob das für eine uneingeschränkte Anteilnahme reicht? In der Berichterstattung über Christoph Schlingensiefs Krankheit und Sterben wurde zum Beispiel stets ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er an einem Nichtraucherkarzinom gelitten habe, während der ebenfalls erkrankte Regisseur Helmut Dietl damit zitiert wird, dass er in seinem Leben eine Million Gitanes geraucht habe.

Gut aufgehoben und der Fürsorge gewiss ist, wer an einer nach geltenden Maßstäben unschuldig erworbenen Volkskrankheit leidet, Demenz zum Beispiel. Wer gesündigt hat, ist selbst schuld – und schweigt am besten. So wie die Mehrzahl der HIV-Positiven, denn Krankheit ist nicht gleich Krankheit.

Henning Mankell bleibt nur zu wünschen, dass er dank ärztlicher Hilfe noch einmal davonkommt. Er hat selbst gesagt, dass er in seiner Kolumne über das Leben schreiben will, nicht über den Tod.