Bayern die Biomasse, den Kielern ihre Mühlen

STREIT Die Bundesländer haben bei ihrer Kritik an Sigmar Gabriels Plänen ihre eigenen Interessen im Blick

BERLIN taz | Auf dem Papier wird Deutschland sehr schnell öko: 150 Gigawatt an Stromleistung, das Doppelte des Durchschnittsverbrauchs, könnten bis 2022 im Land stehen. Dieser gigantische Ausbau von Stromkapazitäten aus Wind, Sonne und Biomasse ergibt sich, wenn man alle Ausbaupläne für erneuerbare Energien zusammenzählt, die die 16 Bundesländer planen. Damit läge bereits 2020 der Ökostromanteil bei 50 Prozent.

Eine zentrale Steuerung der Energiewende gibt es bislang nicht. Die versucht Sigmar Gabriel (SPD) nun durchzusetzen – und kommt damit den Ländern in die Quere. Die taz stellt die wichtigsten Konfliktpunkte vor.

Biomasse im Süden. Besonders in Bayern haben Bauern viel Geld in Solaranlagen und Biogasanlagen investiert. Diesen Zusatzgewinn will Ministerpräsident Seehofer (CSU) retten, denn laut Koalitionsvertrag soll Biomasse kaum noch wachsen.

Wind auch an schwächeren Standorten. Gabriel plant, Windanlagen nur noch dort zu fördern, wo der Wind stark weht, also vor allem nahe den Küsten. Dagegen regt sich Widerstand in Baden-Württemberg und in den Mittelländern wie Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen. Denn dort stehen bisher noch längst nicht so viele Windräder, wie es die Ziele der Länder vorsehen.

Reservekraftwerke in den südlichen Boomregionen. Vor allem Bayern und Baden-Württemberg fürchten um die sichere und bezahlbare Stromversorgung. Denn bislang kommt dort etwa jede zweite Kilowattstunde aus einem Atomkraftwerk. Wenn diese abgeschaltet werden, sollen Reservekraftwerke (auf sogenannten Kapazitätsmärkten) bereitstehen, damit die Lichter nicht ausgehen. In der Koalitionsvereinbarung ist festgelegt, eine Entscheidung über diese Kapazitätsmärkte erst nach 2017 zu treffen. Das dauert der grün-roten Landesregierung in Stuttgart viel zu lange.

Unsicherheit für Investitionen. Die Windländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben nichts gegen Gabriels Pläne eines gebremsten Ausbaus beim Offshore-Wind im Meer. Der kommt wegen technischer und finanzieller Engpässe sowieso später als gedacht. Umso lauter ist aber ihre Kritik an der Deckelung der Windkraft an Land. „Über eine Absenkung der Förderhöhe kann man reden“, sagte der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (Grüne) der taz, „aber die neue Unsicherheit schreckt Investoren ab“. Nach Gabriels Plänen sinkt die Förderung für ein Jahr, wenn im Vorjahr zu viel gebaut wurde. „Man kann nicht für 2017 eine Investition planen, wenn man erst 2016 weiß, wie die Finanzen aussehen“, sagt Habeck.

Die Energie in Bürgerhand. Die sieben grünen Energieminister in den Ländern wollen „die Energiewende als demokatisches Projekt“ retten, sagt Habeck. Gabriels Pläne seien „konzernfreundlich und bürgerfeindlich“. Kleine Eigentümer fürchten, sie könnten etwa bei Versteigerungen von Windprojekten nicht mit Konzernen mithalten.

Das Geld. Erneuerbare Energien sind für die Länder wichtige Wirtschaftsfaktoren. 2012 betrug die direkte Wertschöpfung 17 Milliarden Euro, die zu zwei Dritteln an Städte und Gemeinden gingen. Produktion, Betrieb und Bau von Anlagen, Steuern und der Export von grüner Technologie sichern in Deutschland etwa 380.000 Jobs, vor allem strukturschwache Gegenden können profitieren. Wird der Ausbau beschränkt, könnten diese Einnahmen sinken.

Die Gerechtigkeit. Während Bayern sich wegen seiner hohen Einzahlungen in den Länderfinanzausgleich beschwert, fließt gleichzeitig viel Geld über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in den Freistaat. Die Bayern nahmen 2012 etwa 1,2 Milliarden Euro mehr ein, als sie über die EEG-Umlage zahlten. Nordrhein-Westfalen dagegen mit seinen vielen Menschen und wenig Ökoindustrie verlor 1,8 Milliarden Euro.

Die Kohle. Länder wie NRW und Brandenburg „zeigen ein auffälliges Schweigen“, wenn es um Kritik an Gabriels Plänen geht, sagt der Generalsekretär des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), Christian Hey. Kein Wunder: Sie sind mit ihren Kohlekraftwerken die Hauptprofiteure davon, dass die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren drosselt. BERNHARD PÖTTER