Mit Billigflaggen durch die Krise

SCHIFFFAHRT Nach einem schweren Jahr 2009 haben sich die deutschen Reedereien wegen des boomenden Welthandels erstaunlich schnell berappelt. Aber viele sparen weiter – an Diesel und an Sozialstandards

HAMBURG/BERLIN taz | Raten Sie mal, wie viel von den rund 2.800 Schiffen deutscher Reedereien auch unter der schwarz-rot-goldenen Flagge fahren. Na? Etwa 450. Fünfmal so viele führen sogenannte Billigflaggen, sie sind in Liberia, Panama, Antigua, den Karibikstaaten oder den Philippinen registriert. Die Krise verschärfte die Situation, denn das Ausflaggen bedeutet für die Reeder: Sie zahlen weniger Gebühren, weniger Heuer, weniger Sozialabgaben. „Wir peilen aber wieder die Zahl von 500 an“, verspricht der Verband deutscher Reeder nun. Denn die Hauptausrede zählt nicht mehr: Der Welthandel soll in diesem Jahr um rund 10 Prozent wachsen, und der damit zusammenhängende Exportboom verschafft den Reedern früher als erwartet wieder volle Auftragsbücher.

Vor diesem Hintergrund ist das Ziel von 500 schwarz-rot-gold-beflaggten Schiffen allerdings wenig ambitioniert. Denn im Gegenzug für Subventionen hatte die Branche der Bundesregierung früher versprochen, bis Ende 2010 schon 600 Schiffe in Deutschland zu melden. Neben milliardenschweren EU-Förderprogrammen konnte die Schifffahrtsindustrie in der Krise auch auf den Deutschlandfonds zugreifen – rund 421 Millionen Euro gab es zur Unterstützung.

Denn 2009 sah es für die Branche nach einer ganz schweren Krise aus. Deutschlands Nummer eins, Hapag Lloyd, war kurz vorm Bankrott, und auch Großreedereien aus anderen Ländern rutschten tief ins Minus. Schiffe wurden stillgelegt oder verschrottet. Nur ein Jahr später verkünden die Unternehmen glänzende Zahlen. Der Umsatz des international führenden Seelogistikkonzerns Kühne + Nagel legte im zweiten Quartal um mehr als ein Fünftel zu. Der Reisekonzern TUI, größter Hapag-Lloyd-Anteilseigner, kalkuliert für 2010 wieder Gewinne aus der milliardenschweren maritimen Beteiligung ein, die weltgrößte Reederei, die dänische A. P. Moller-Maersk, hat ihre Gewinnprognose für 2010 auf über 3,5 Milliarden Dollar angehoben.

Die frische Brise folgt der anziehenden Weltkonjunktur und dem wieder wachsenden Welthandel. Und weil die Nachfrage nach Transportraum auf hoher See steigt, steigen auch wieder die Preise. So haben sich viele Charterraten seit dem Frühjahr verdoppelt, meldet die Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten. 24.000 Dollar kostet ein mittleres Containerschiff pro Tag an Miete, kaum 12.000 waren es am Tiefpunkt.

Für anziehende Preise sorgt jedoch auch die Verknappung des Angebots. Weltweit lagen zeitweilig 600 große Frachtschiffe ohne Beschäftigung vor Anker, heute sind es immer noch 200. In chinesischen Häfen wird beim Entladen von Rohstoffen getrödelt, Tanker liegen herum und warten auf steigende Rohölpreise – und vor allem lassen Reeder ihre Schiffe langsamer fahren: Das sogenannte Slow Steaming hebt die Auslastung und senkt die Treibstoffkosten: Fährt ein Schiff mit 22 statt mit 25 Knoten, verbraucht es ein Drittel weniger Diesel. Bei einer Rundreise Asien–Europa–Asien lässt sich so 1 Million US-Dollar und mehr sparen.

Während das Slow Steaming zusätzlich der Umwelt nützt, weil weniger Treibstoffverbrauch auch bedeutet, dass weniger klimabelastendes CO2 entsteht, hat das Sparen mit der Billigflagge keine positiven Nebeneffekte –im Gegenteil: Die Gewerkschaft Ver.di fürchtet um das maritime Know-how in Deutschland und um Beschäftigung für europäische Seeleute und Kapitäne. Und auch Amnesty International ist alarmiert. Denn Schiffe unter Billigflaggen sind auch im Waffenhandel eine Grauzone. Sie können beispielsweise auch Waffen transportieren, die in Deutschland weder hergestellt noch verkauft werden dürfen.

HERMANNUS PFEIFFER, BEATE WILLMS