„Wir neigen zu barocken Gesten“

Die polnische Regierung ist verärgert über eine taz-Satire, in der Präsident Lech Kaczynski mit einer Kartoffel verglichen wurde. Der in Bremen lehrende Soziologe Zdzislaw Krasnodębski hat die Kaczynski-Brüder im Wahlkampf unterstützt. Im Kartoffel-Satire-Streit, sagt er, kämen auf deutscher Seite alte, antipolnische Ressentiments hoch

Interview: Henning Bleyl

taz: Sie haben eine Analyse mit dem Titel „Die deutsche Presse attackiert uns“ veröffentlicht, in der die taz-Kartoffel-Satire sozusagen als Spitze eines anti-polnischen Eisbergs erscheint.

Zdzislaw Krasnodębski: Es gibt sehr kritische Berichte über uns, die die Wirklichkeit verfälschen. Man kann dabei drei Kampagnen unterscheiden: die erste anlässlich des Irakkriegs, dann beim EU-Beitritt Polens und während der Diskussion über das geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die dritte begann nach den letzten Wahlen und dauert bis heute an. Da wurde so unfair, uninformiert und einseitig über Polen berichtet, dass man sich fragen muss: Woher kommt dieser Ton?

Was ist Ihre Antwort?

Oft ist das nur Mangel an Wissen. Aber es gibt auch Voreingenommenheit – und darin kann man eine historische Kontinuität sehen. In der Weimarer Republik hat die deutsche Presse auch sehr hämisch über uns berichtet. Diese Tradition ist nicht gebrochen, da gibt es noch ein ganzes Stück unbewältigter Vergangenheit.

Ihr Kollege Wolfgang Eichwede von der „Forschungsstelle Osteuropa“ der Universität Bremen wirft Ihnen vor, dass Sie mit solchen Äußerungen Ihrerseits zur Verschärfung der Situation beitrügen.

Er verwechselt dabei die Ursachen. Ich habe die Situation beschrieben, wie sie ist, und damit bin ich im übrigen weder der einzige noch der erste. In Polen ist seit langem bekannt, dass insbesondere die deutsche und die weißrussische Presse übermäßig kritisch über die Situation im Lande berichten.

Die „Nasz Dziennik“ hat diese Stoßrichtung aufgenommen und eine Liste aller in Warschau akkreditierten deutschen Journalisten veröffentlicht – mit dem Zusatz „Namen, die man sich merken sollte“. Finden Sie das in Ordnung?

Nein, damit habe ich auch nichts zu tun.

Die „Nasz Dziennik“ gehört zum Medienkonzern von Pater Tadeusz Rydzyk, dem auch das fundamentalistische „Radio Maryja“ gehört.

Der Sender richtet sich an einen sehr traditionellen Teil der Katholiken, ich höre das nicht. Es gibt da gefährliche Töne, aber „Radio Maryja“ wird manchmal auch dämonisiert. Dabei bindet es in gewissem Sinn weite Bevölkerungsteile an die Demokratie.

Apropos Demokratie: Der polnische Ministerpräsident bezeichnet die Satire als „Verbrechen“, die Außenministerin vergleicht die taz mit dem Nazi-Hetzblatt Stürmer . Das kommt einem von Deutschland aus betrachtet absurd vor.

Kaczynski hat von „przestępstwo“ gesprochen, das müsste man eigentlich mit „Rechtsverstoß“ übersetzen. Aber es stimmt: Wir neigen zu barocken Gesten, und ich empfehle meinen polnischen Kollegen immer wieder, in der Wortwahl sorgfältiger zu sein – das gilt übrigens auch für die Opposition. Die Außenministerin wollte etwas ausdrücken, was ich auch schon angesprochen habe: Dass in der Satire auch die Geschichte mitschwingt. Und dass das Anti-Polnische leider wieder salonfähig wird.

Hilft da ein internationaler Haftbefehl, wie ihn der Vorsitzende der Regierungsfraktion gegen den Autor der taz-Satire fordert?

Nein. Auch auf der polnischen Seite gibt es Vorurteile. Und es gibt auch legitime Empfindsamkeit, die aus der bösen historischen Erfahrung herrührt. Sie müssen sich vorstellen: Die Brüder Kaczynski [derzeit Präsident beziehungsweise Ministerpräsident des Landes, Anm. d. Red.] wurden 1949 im total zerbombten Warschau geboren, da erwachen bei aktuellen Konflikten schon mal böse Erinnerungen.

Vor drei Jahren haben Sie das Buch „Demokratie an der Peripherie“ herausgebracht, in dem Sie mit der polnischen Entwicklung der 1989 gegründeten „III. Polnischen Republik“ sehr umfassend und kritisch abrechnen. Seitdem werden Sie gern als „ideologischer Vater der IV. Republik“ bezeichnet, die die Kaczynskis – notfalls auch mit autoritären Mitteln – aufbauen wollen.

Der Begriff „IV. Republik“ stammt nicht von mir, er wird allgemein als Ausdruck eines moralischen Neuanfangs verwendet, der wegen der unbewältigten kommunistischen Vergangenheit und der Korruptions-Skandale der Vergangenheit auch notwendig ist. In meinem Buch habe ich eine umfassende Kritik am Liberalismus, genauer an seiner merkwürdigen polnischen Variante formuliert und untersucht, was aus dem Erbe der Solidarnoscść geworden ist. Man muss sehen, dass „Recht und Gerechtigkeit“ [die Partei der Kaczynski-Brüder, Anm. d. Red.] ihre Wurzel in der Solidarność-Bewegung hat, sie ist weder eine Schill- noch eine Haider-Partei. Bezeichnungen wie Populisten oder Nationalisten sind da wirklich fehl am Platz.

Sie gelten als publizistische Stütze der Kaczynskis, Sie waren sogar Mitglied des Ehren-Wahlkomitees für die Präsidentschaftskandidatur. Die wiederum koalieren sowohl mit der rechtspopulistischen „Selbstverteidigungs“-Partei als auch mit der „Liga Polnischer Familien“ (LPR), deren antisemitische Tendenzen bekannt sind.

Diese Koalition ist in der Tat problematisch, aber sie war parlamentarisch gesehen die einzig mögliche. Ich persönlich würde jedoch Neuwahlen bevorzugen. Zusammen mit anderen Intellektuellen habe ich vor kurzem gegen unakzeptable Äußerungen eines LPR-Politikers protestiert. Immerhin gibt es den Effekt, dass sich die radikalen Parteien durch ihre Einbindung demokratisieren und entradikalisieren. Das war ja auch die Politik zum Beispiel von Franz-Josef Strauss, der gesagt hat, „rechts von der CSU darf es in Bayern nichts geben“. Im übrigen bezieht sich der Premierminister gelegentlich auf meine Texte, aber ich unterhalte keine institutionelle Verbindung zur Regierung Kaczynski. Ich werde nur gelegentlich, gemeinsam mit anderen Intellektuellen, zu philosophischen Gesprächen eingeladen.