Zwerg Nasenbein

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Jean-Claude „Jumbo“ Juncker

Seit der Einführung von Maastricht ist Luxemburg bis an den Rand mit goldenen Euros gefüllt

Einen größeren Zwerg gibt es nicht. Verglichen mit San Marino, Liechtenstein oder Andorra, die man mit bloßem Auge kaum sieht, ist Luxemburg ein ausgewachsenes Land – und sogar eine heimliche Eminenz, deren Zunge in Europa mehr Gewicht hat als das drohend vorgebrachte Stuhlbein manches ungleich stärkeren Mitgliedsstaates.

Äußerlich wirkt das Großherzogtum wie ein behagliches Dornröschen, das niemandem in die Augen hauen kann. Flüsse aus Wein und Honig durchziehen eine lieblich geschwungene Natur, deren Dörfer wie Kekse in der Landschaft ruhen. Wie große, ruhige Blattläuse weiden Kühe auf den Wiesen. Die Idylle wiegt den Besucher in dichten Schlaf – doch dann stolpert er in der gleichnamigen Hauptstadt mit dem Gesicht voran über die ungezählten Banken, Versicherungen und Holdings und fängt an, sich das Gehirn zu kratzen. Wenn er anschließend noch auf dem Plateau de Kirchberg die unterdrückten Schreie aus dem Europäischen Gerichtshof vernimmt; hinter den geschlossenen Gardinen des Europäischen Rechnungshofs die Beamten in Sekt und Kaviar baden sieht, während verhungerte Osteuropäer in zerlumpten Unterhosen an die Mauern der europäischen Investitionsbank klopfen; wenn er endlich all die Dreibeinigen und Mehrköpfigen in der Atombehörde Euratom bemerkt, so dürften ihm Schauer der Erkenntnis durch seine Gedanken rieseln.

Einerseits so klein, dass ein Erwachsener, der sich lang hinlegt, die Beine anwinkeln muss, ist Luxemburg andererseits eine dunkle Macht ohne Grenzen. Nur logisch, dass Luxemburg außer vier entsetzlichen Königen und Kaisern Europa auch zwei für ihr Schreckensregime gefürchtete Kommissionspräsidenten lieferte, Gaston „Daumenschraube“ Thorn und Jacques „Knochenbrecher“ Santer, die mit eisernem Stock über den Kontinent regierten.

Beide hatten zuvor in ihrer so unschuldigen kleinen Heimat als Staatschefs geübt; und hier, nach dieser wortreichen Einleitung, hat nun auch Jean-Claude Juncker seinen Platz. Einer langen und breiten Öffentlichkeit wurde er erst im Mai 2006 bekannt, als der Ziehfreund Helmut Kohls die Aachener Kaiser-Karl-Medaille um den Hals bekam. Doch der 1954 im südluxemburgischen Redingen als harmloses Baby geborene Politiker hat es faustdick unter dem Schädel und zieht bereits seit über 20 Jahren die Stricke der Politik in Luxemburg und Europa.

Da in Luxemburg jemand, der deutsch spricht, als behindert gilt, machte er als Schüler einen auf französisch und heftete sich 1974 am „Lycée Michel Rodange“ das Abitur an die Mütze, das „Diplome de fin d’études secondaires de la langue et parole française et Françoise“. 1975 infiltrierte er, der durch einen Bürgermeister-Onkel erblich belastet war, die Christlich-Soziale Volkspartei und wurde 1979 als ausgelernter Anwalt, der sich an der Universität Straßburg mit allen juristischen Hebeln versorgt hatte, im Nebenbrot Fraktionssekretär seiner Partei in Luxemburgs Deputiertenkammer. Von da an gab es kein Bremsen mehr.

1982 fuhr er in den Regierungsapparat von Ministerpräsident Pierre Werner ein und gestattete sich den prallen Posten eines Staatssekretärs für Arbeit und Soziale Sicherheit; 1984 stieg er im Kabinett Jacques Santer als Arbeitsminister einen Stuhl höher. In einem Land wie Luxemburg, dem die Sonne seit Jahrzehnten auf den verlängerten Hintern scheint, dessen Bewohner das höchste Pro-Kopf-Einkommen der bewohnten Welt haben und wo Arbeitslose an einer Nase abzuzählen sind, hatte er da nicht mehr zu tun, als die kurzen Beine auf den Schreibtisch zu legen.

Dafür bekam er 1989 zusätzlich das Amt des Finanzministers zum Frühstück, wehrte alle ausländischen Angriffe auf den Geldstapelplatz Luxemburg mit kalter Hand ab und betrieb stattdessen die Einführung von Maastricht, um Luxemburg bis an den Rand mit goldenen Euros zu füllen. 1995 klemmte sich Juncker, dessen Nasenbein krumm ist wie ein Merscher Metzger, schließlich den Posten des eigenen Regierungsbosses unter den Nagel; zugleich wurde er, der seine vier Buchstaben bereits in der Weltbank hatte, auch Gouverneur des Internationalen Währungsfonds und verdreifachte damit sein Standbein in der Weltpolitik. Pragmatisch, schlitzohrig und mit einem mehrsprachigen Kiefer ausgerüstet, der jeden Gegner unter den Tisch reden kann, zudem mit einem Gehirn im Kopf, das mehr Kilos auf die Waage bringt als manche Kartoffel, versteht er es, auseinander strebende Staatschefs zusammenzuzwingen und brachte Beschlüsse zustande wie den gruseligen Stabilitätspakt in Dublin 1996, da Kompromisse ihm wichtiger sind als Meinungen.

Sein eigenes Land pariert ihm sowieso aufs Wort. 2004 fuhr Juncker einen Erdrutsch bei den Wahlen ein, und 2005 zwang er seine Untertanen mit der Drohung, andernfalls zur eingeschnappten Leberwurst zu werden, die lebensgefährliche Europäische Verfassung in ihr Wohnzimmer zu lassen.

Jean-Claude Juncker: Ihn mögen alle. Also kennt ihn keiner wirklich! Nur jetzt Sie, liebe Leser. PETER KÖHLER