UNIFORMIERTE IN ZÜGEN: Sagte ich bereits
„Der Fahrschein ist bereits seit 17 Minuten abgelaufen!“ Laut und bedrohlich wird dieser Satz ausgesprochen, der Kontrolleur will wohl von vornherein klarstellen, wer der Herr im Haus, beziehungsweise Chef im Zug ist. Einige Fahrgäste blicken verstohlen zur Seite, andere verkriechen sich noch tiefer in ihr Smartphone, die Situation hat Konfliktpotential.
Der mit Lederjacke bekleidete Jugendliche fläzt weiter auf seinem Sitz und hat enorm große Kopfhörer auf. Dementsprechend nickt er nett, nimmt den Fahrschein an sich und schaut weiter aus dem Fenster. Eventuell hört er Kollegah, ein schwer erfolgreicher Gangsterrapper, der vor kurzem – überraschend selbstironisch – ein Lied aus der Sicht eines Fahrkartenkontrolleurs ins Netz stellte: „Wir sind Bahnkontrolleure, stahlharte Männer / boxen schwarzfahrende Penner / mit dem Fahrkartenscanner“, heißt es dort unter anderem.
Auch dieser Bahnkontrolleur scheint seine Arbeit in vollen Zügen zu genießen. Er reißt dem Spätpubertierenden die Kopfhörer herunter und zerrt ihn von seinem Platz. Ich bin nicht erst seit dem Vorkommnis auf dem Hermannplatz, als BVG-Mitarbeiter wegen eines in drei Minuten ablaufenden Fahrscheins eine Gruppe Flüchtlinge handgreiflich aus der U-Bahn entfernten und die dann eintreffende Polizei die Situation weiter eskalierte, schlecht auf Uniformierte in Zügen zu sprechen. Ich bitte den Hobbypolizisten höflich, aber bestimmt, den jungen Mann nicht anzufassen. Der hat immer noch nicht begriffen. „Was ist denn nun genau los?“, fragt er. „Ihr Fahrschein ist seit 17 Minuten abgelaufen, sagte ich bereits!“
Der Jugendliche guckt auf den Fahrschein, rechnet und denkt nach. „Ja gut“, sagt er schließlich und setzt sich wieder auf seinen Platz, „kann ich ja nichts dafür, wenn Sie zu spät kommen.“
JURI STERNBURG
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