Europäischer Melting Pot?

HEIMAT Ist Berlin nur ein Kaff – oder doch eine Insel aus kosmopolitischen Identitäten?

Zu Mauerzeiten war Berlin eine Insel. Jetzt ist die Stadt ein Archipel aus kleinen Kulturinseln: Hier junge Spanier, auf der Flucht vor der Krise; dort Engländer, die den shabby chic der ehemaligen Frontstadt lieben. Dazwischen Bulgaren auf der Suche nach einer Zukunft, Franzosen, die schon so lange hier sind, dass sie lieber Currywurst als Foie gras zu sich nehmen.

Für manche der Eingewanderten ist Berlin Diaspora geblieben, für viele neue Identität, für einige Heimat. Wenn man an den „Schrippenstreit“ denkt, der sich schon an zugereisten Schwaben und ihrem morgendlichen Einkaufswunsch nach „Wecken“ stört, hatte Kurt Tucholsky bestimmt recht: „Der Horizont des Berliners ist längst nicht so groß wie seine Stadt.“

Trotzdem: Berlin ist zum Glück kein eng gedrängter Melting Pot, der Kulturen und Identitäten zu einem harmonischen Einheitsgebräu zusammenzwingt. Sondern eher eine mächtige Salatschüssel, in der die verschiedenen Stückchen, bei aller Vermischung, noch kenntlich bleiben und zusammen ein vielschichtiges Aroma bilden.

Über das Leben auf dem Kulturinselarchipel wollen wir beim taz.lab sprechen: Die Chefredakteurin des englischsprachigen Stadtmagazins EXBERLINER, Nadja Vancauwenberghe, erklärt, wie sich Neuberliner zur Ureinwohnerschaft abgrenzen und wie man sich zusammenfindet. Die Architekturdozentin Sandra Bartoli zeigt, wie im Tiergarten die Schleichwege und Trampelpfade gesellschaftlicher Gruppen jenseits des Mainstreams die Topografie prägen.

Der Publizist Michael Rutschky denkt mit uns über kulturelle Identitäten, Toleranz und die Tauglichkeit Berlins als Weltstadt nach. Und der Gentrifizierungskritiker Andrej Holm beschreibt, wie sich innerstädtische Wanderungs- und Konzentrationsprozesse auf das Lebensgefühl der BerlinerInnen auswirkt.

Hoffentlich kommen wir zu einem weniger pessimistischeren Fazit als der Berliner Tucholsky, der seufzte: „Wir haben französischen Schick, englischen Sport, amerikanisches Tempo und heimische Hast –nur uns selbst haben wir nie gekannt.“

NINA APIN

Nina Apin, 40, Kulturredakteurin im Berlinteil der taz