Reflexion über Identität und Kohle

Rundreise im Pick-Up zwischen Herten und Anglesey. Das Fahrzeug transferiert zur physischen Repräsentation. Deutsch-walisisches Künstlerduo sammelt damit neue Energien von Menschen aus zwei ehemaligen europäischen Bergbauregionen

„Der Mythos ist die Matrix des Weltbildes – erstellt ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern“

VON PETER ORTMANN

Kunst verbraucht viel Energie, besonders bei dieser Witterung. Unmengen Schweiß flossen, als die walisische Architektin Manon Awst und der Bochumer Künstler Benjamin Walther am frühen Donnerstagmorgen in einem freiliegenden Flöz in Bochum-Dahlhausen ihre Hacken in das schwarze Gold hieben. Zusammen mit zahlreichen Arbeitssuchen mussten über zwei Kubikmeter Kohle in einen Pick-Up geschaufelt werden. Sie ist das energiereiche Ausgangsmaterial für das europäische Kunstprojekt „Digger“ (Bergmann) das sich zwischen den zwei ehemaligen Bergbauregionen in NRW und Wales spannen soll.

Gestern wurden die abgebauten Brocken auf der Zeche Ewald in Herten gemahlen und zu einer Energiefarbe gebunden. Anschließend strichen die beiden Künstler damit komplett den ehemaligen Prüfraum des Bergwerks. Durch die Transformation der Kohle und die Investition persönlicher Energie, wird der brachliegende Zechenraum zu einer schwarzen Projektionsfläche für die Gedanken und Wünsche der Menschen. Die können dort ab heute mit weißer Kreide ihren eigenen Zukunftsdiskurs verewigen. Der ,,Kohle-Raum“ mutiert so zu einem Ort, in dem sich Menschen begegnen und vielleicht ein neue gemeinsame Zukunft denken sollen. „Kohle ist eine Energieressource, die nicht mehr gewollt wird“, sagt Benjamin Walther, der auch Hausregisseur am Schauspielhaus Bochum ist, der taz. Mit der Zwischenmenschlichkeit sei das genauso. „Schon beim Kohleabbau konnte man mal wieder zeigen, was man alles leisten kann“, sagt der Arbeitssuchende Mike Barke, den das Gemeinschaftsgefühl vor Ort sichtlich bewegt hat.

Die beiden Künstler versuchen eine Kluft zu überwinden, die sich unter den Menschen zwischen absoluter Mobilität und der Suche nach Wurzeln gebildet hat. Sie sollen in einem künstlerischen Prozess selbst über verloren gegangene Identität und Selbstbewusstsein reflektieren und so einst vorhandene oder neue Energien wieder in Bewegung setzen. Die Künstler schaffen mit den Performances Rahmenbedingungen dafür.

In Wales lagerten im 19. Jahrhundert ein Großteil der in England benötigten Kohle- und Eisenvorkommen. Durch Konkurrenzsituationen mit profitablen Flözen in Deutschland, Frankreich oder Belgien, befand sich die Kohleindustrie in Wales schon auf dem absteigenden Ast, während die Blütezeit des Ruhrgebiets noch bevor stand. Das endgültige Zechensterben begann in Wales bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Anders als an der Ruhr beziehen die Menschen dort ihre Identität nicht so sehr auf den Energieträger Kohle, sondern eher auf mythologische Energie. In Südwales gibt es zahlreiche Energieorte der Mythologie und Sagenwelt, aber auch stillgelegte Minen und das „Zentrum für alternative Energien“ in Anglesey, dem Heimatort von Manon Awst. Die Orte werden die Künstler mit ihrem Pick-Up anfahren, um dort Live-Performances zu zeigen, mit deren Hilfe ein Dialog mit den dort lebenden Menschen zustande kommen soll. Das Fahrzeug wird dann zum zeremoniellen Behälter für Relikte zweier Bergbauregionen, die sich über unterschiedliche universelle Energien, stoffliche wie mythologische, definieren. „Es gibt eben unterschiedliche Energien, die das Universum zusammenhalten“, sagt Benjamin Walther.

Nach der Rückkehr ins Ruhrgebiet wird das gesammelte Material aus Gegenständen und Ideen wieder im Energieraum der Zeche Ewald zusammengeführt und dokumentiert.

Täglich 10:00 bis 21:00 UhrPrüfraum der Zeche Ewald, Herten