Mit oder ohne ihre Tochter

Ausländerbehörde missachtet Votum der Härtefallkommission: Die zwölfjährige Türkin Cansu Y. darf in Hamburg bleiben, ihre Mutter aber soll ausreisen. Ihre Tochter könne sie ja mitnehmen

Von Nele Leubner

Die zwölfjährige Türkin Cansu Y. darf in Hamburg bleiben, ihre Mutter aber muss ausreisen. Das hat jetzt die Hamburger Ausländerbehörde entgegen einer Empfehlung der Härtefallkommission der Bürgerschaft entschieden. Ob Ayla Y. (44) ihre Tochter mitnimmt oder in Hamburg zurücklässt, liege in ihrem Ermessen. Bis nächsten Donnerstag soll sie ihre Entscheidung der Behörde mitteilen.

„Enttäuscht“ darüber ist Wolfhard Ploog, Vorsitzender der Härtefallkommission: „Der Senat hatte ursprünglich zugesagt, einstimmige Entscheidungen der Kommission anzunehmen und zu respektieren“, sagt der CDU-Abgeordnete. Seid Cansu drei Monate ist, lebt die Familie in Deutschland. Das Mädchen war noch nie in der Türkei, die sie sich „ganz anders“ und „nicht so schön wie Deutschland“ vorstellt. Die Kommission hatte befunden, dass Ayla Y. bis zur Volljährigkeit ihrer Tochter in Hamburg bleiben dürfe.

Die Behörde begründet ihre Entscheidung damit, dass die Schülerin„durch das Zusammenleben mit ihrer Großmutter und ihrem Bruder ausreichend familiären Beistand“ habe. Die Großmutter allerdings sei schwerbehindert und benötige 24 Stunden am Tag Betreuung, die im Moment Ayla Y. leiste, sagt der Anwalt der Familie, Cornelius Weimar. Cansus 21-jähriger Bruder Erdac wird nach den Sommerferien die 12. Klasse einer Gesamtschule besuchen. Er leide „unter erheblichen psychischen Problemen und Reifeverzögerung“, berichtet Weimar. Cansu meint: „Wenn meine Mutter sich nicht um uns kümmert, dann muss ich mich um meinen Bruder und meine Oma kümmern. Aber ich bin doch noch ein Kind, wer kümmert sich dann um mich?“

„Der Vorwurf, dass aufgrund des derzeitigen Zustandes der Großmutter und des Bruders kein ausreichender familiärer Beistand geleistet sei, ist nicht glaubhaft“, erklärt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde, auf Anfrage der taz. „Sollte die Familie der Auffassung sein, Bruder und Großmutter könnten Cansu nicht ausreichend betreuen, steht es ihnen frei, eine andere Betreuungsmöglichkeit zu organisieren“, rät Smekal: „Andernfalls müsste Cansu mit ihrer Mutter gemeinsam in die Türkei ausreisen.“

Cansus Vater Erdac Y. gilt der Behörde ebenfalls als ausreisepflichtig. Seine Ehe mit einer deutschen Frau, die er nach der Scheidung von Ayla Y. einging, hält das Amt für „eine Scheinehe“. Alle sechs – der Vater, beide Frauen, die Großmutter sowie Cansu und ihr Bruder – leben zusammen in einer Dreizimmer-Wohnung in Bahrenfeld. Mit Schimmel an den Wänden und nur von dem Einkommen des Vaters, dessen Frau und der Rente der Großmutter. Ayla Y. darf auf Grund ihres Aufenthaltsstatus nicht arbeiten, die Familie bezieht aber keinerlei Sozialhilfe. „Ich würde auch mit allen in einem einzigen Zimmer wohnen“, sagt Ayla Y., „wenn ich dafür bei meinen Kindern bleiben darf.“

In der Familie herrscht Unverständnis über die Entscheidung der Ausländerbehörde und Erstaunen über die Missachtung der Parlamentsempfehlung: „Herr Ploog hat doch gesagt, dass wir nicht in den Sommerferien abgeschoben werden,“ sagt Cansu: „ Ich dachte, als Vorsitzender der Härtefallkommission kann er etwas ausrichten.

Ploog erklärte gegenüber der taz, er habe „mit dieser Entscheidung nicht gerechnet“.