Rock kommt vor Disco-Elektro-Pop

Monogeschlechtlich und heiß im Postbahnhof: „Starthilfe“, ein Nachwuchswettbewerb von Motor FM

Was braucht eine junge Band in Berlin, um es „zu schaffen“? In den späten 80ern hieß es noch: einen Auftritt im Café Swing am Nollendorfplatz, eine Erwähnung in der Rubrik „Inside“ des tip-magazines und die Endrunde beim Senatsrockwettbewerb. Heute heißt die heilige Dreifaltigkeit Magnet, Lido und Motor FM. Tim Renner, Chef von Motor FM, meint: „Moderne Technik macht möglich, dass spannende Musik entsteht, lange bevor Bands an Plattenfirmen denken. Zusammen mit Berliner Pilsener will Motor FM deshalb heute schon in der Hauptstadt hörbar machen, was morgen deutschlandweit wichtig ist.“ Vieles kann eine Band selbst organisieren: Konzerte klarmachen, Freunde überzeugen, über myspace.com networken. Aber in die Playlisten der Radiostationen und die angesagten Clubs kommt man schon schwerer rein.

Die Popagenten bei RadioFritz stellen jede Woche neue Bands aus Berlin und dem Umland vor, auch beim Nachwuchsfestival Emergenza im Knaack treten sie seit Jahren auf. Der hippste Nachwuchspreis ist aber die „Starthilfe“ von Motor FM und Berliner Pilsener. Wobei der Preis ein klein wenig schäbig daherkommt: Eine Studioaufnahme von vier Tracks mit Produzent Moses Schneider und Radiopromotion. Aber vielleicht will man die jungen Musiker nicht gleich verwöhnen.

Hart ist es auch, als unbekannte Band am bisher heißesten Tag des Jahres, mitten in den Semester- und Schulferien, im Postbahnhof spielen zu müssen. Trotzdem war am Donnerstag der kleine Raum des Postbahnhofs mit ca. 250 Menschen ganz gut gefüllt. Winson (wovon lebt eigentlich Peter?) hampelt sich mit einer Komoderatorin durch den Abend, die Bands der Vorrunden wurden durch Online-Voting ermittelt. Beim Finale berät sich die Jury: Moses Schneider (Produzent von Beatsteaks und Tocotronic), Beatsteaks-Schlagzeuger Thomas Götz und ein Herr aus der Uncle-Sally-Redaktion, der gleichzeitig im Beatsteaks-Management tätig ist. Eine recht beatsteakslastige Jury also, an diesem recht monogeschlechtliRichandKoolchen Abend. Tja, Nachwuchspflege ist wohl ein Jungsding, weder in der Jury noch unter den Bands findet sich eine einzige Frau.

Die ersten Finalisten, die Gruppe Earthbend aus Finsterwalde, spielt soliden, melodiösen synthiegestützen Rock. Das ergibt ganz schöne musikalische Momente, allerdings ohne große Überraschungen. Das junge Publikum, manche mit sehr zweifelhaften Frisuren, erholt sich zwischen den Konzerten im Garten, wo in dieser tropischen Nacht sogar ein laues Lüftchen weht. RichandKool aus Frankreich, Trinidad und Berlin vollführen dann einen schönen Zirkus auf der Bühne. Ihr Disco-Elektro-Pop mit Umhängekeyboard und Wave-Einflüssen geht mächtig nach vorn, der recht impulsive Sänger Evian mimt den überdrehten, größenwahnsinnigen Frontman. Besonders die vierstimmigen Chorparts, die Beatles-Zitate, die Dynamik und der geschmackvolle Trashfaktor überzeugen, auch die Zuschauer geraten außer Rand und Band.

Last Call vor Disco, die letzte Band an diesem Abend, hat als größtes Plus einen Sänger aus Brighton, ansonsten klingen sie ein wenig nach The Killers, in den darken Momenten auch ein wenig nach Interpol. Leider haben sie sich alle absurden Handbewegungen und Posen sämtlicher The- und Rock-Retrobands abgeschaut und sie zu einer unguten Choreografie verarbeitet. Und obwohl an diesem Abend doch alle Herzen für RichandKool zu schlagen schienen, gewinnen die eher rockorientierten Last Call for Disco den Preis. Aber so ist das eben mit dem Nachwuchs, wer da nach oben kommt, ist nicht immer nachvollziehbar.

CHRISTIANE RÖSINGER