Bodenoffensive droht

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Israels Armee will offenbar ihre der Bodenoffensive ausweiten. Gestern erhielten tausende Reservisten den Einberufungsbefehl. Die Bewohner des Südlibanon wurden per Radio aufgerufen, die Region zu verlassen. Libanons Verteidigungsminister Elias Murr warnte, dass die libanesische Armee eine Bodenoffensive bekämpfen werde. In Haifa und anderen Städten im Norden Israels schlugen gestern erneut mehrere Raketen ein. Dabei wurden mindestens 23 Menschen zum Teil schwer verletzt. Am Vortag starben vier Soldaten bei Gefechten mit der Hisbollah im Südlibanon.

Ungeachtet der Raketenangriffe und der steigenden Zahl gefallener Soldaten zeigt Israels Bevölkerung großes Durchhaltevermögen. Nur 8 Prozent der Israelis sind einer gestern in der Zeitung Ma’ariw veröffentlichten Umfrage zufolge für den sofortigen Stopp der Libanonoffensive. 90 Prozent sind für eine Fortsetzung „bis Hisbollah von der Grenze vertrieben ist“.

Bereits am Donnerstag waren tausende israelische Infanteristen in den Südlibanon eingerückt. Gut eine Woche hatten Regierung und Armee dies aus Sorge vor eigenen Verlusten vermieden. Die fast 20 Jahre andauernde israelische Besatzung des Südlibanon hinterließ tiefe Narben. Doch ohne Bodenoffensive, meinen die Militärs, sind Bunker und Tunnel der Hisbollah nicht zu erreichen.

Libanons Verteidigungsminister Murr kündigte in al-Dschasira an, einen israelischen Einmarsch abzuwehren. „Die libanesische Armee wird Widerstand leisten.“ Die Regierung in Beirut hatte die Armee bisher aus dem Konflikt herausgehalten. Erst am Donnerstag bat Regierungschef Fuad Siniora um internationale Hilfe gegen die Hisbollah, die sich wie „ein Staat im Staate“ gebäre.

Während in der israelischen Bevölkerung der Konsens zur Fortsetzung der Offensive ungebrochen ist, melden sich in Medien und unter Politikern zunehmend kritische Stimmen. Susie Becher vom linksliberalen Bündnis Meretz zeigt sich über die „Verherrlichung des Konsenses und die Delegitimation des öffentlichen Protests“ irritiert. Beides berge „eine größere Gefahr für Israel, als die Raketen auf den Norden“.

Andrew Friedman von der Tageszeitung Jediot Achronot empfindet als das Schlimmste an dem Krieg, dass „wir gezwungen wurden, den Libanon zu bekämpfen, das Land, dass vermutlich weniger als jedes andere den Konflikt mit Israel suchte“. Seew Schiff schreibt in Ha’aretz, dass „der Krieg verwickelter ist als erwartet“. Die Vertreibung zehntausender Zivilisten lasse die Offensive „zunehmend unproportioniert“ erscheinen. Premier Ehud Olmert stimmte jetzt auf US-Druck einem „humanitären Korridor“ zwischen Libanon und Zypern zur Versorgung der libanesischen Bevölkerung zu.

Die diplomatischen Mühlen mahlen unterdessen langsam. US-Außenministerin Condoleezza Rice will ihre zum Wochenanfang geplante Reise offenbar in Ägypten beginnen, erst am Dienstag Israel erreichen und nur kurz bleiben. Unklar bleibt, welche Position das Weiße Haus zu einer bewaffneten „Stabilisierungstruppe“ hat, die UNO-Generalsekretär Kofi Annan fordert. Er legte am Donnerstag dem UN-Sicherheitsrat einen Plan vor, der einen Waffenstillstand, die Freilassung entführter israelischer Soldaten und die Entwaffnung der Hisbollah vorsieht.