Zu kurz gesprungen

betr.: „Politik macht Partypause“ und „Politische Eintagsfliege“, Kommentar von Gesa Schölgens, taz nrw vom 17.07.2006

[...] Was ist Politik, wenn nicht eine Großveranstaltung wie diese unter das Motto „100 Prozent NRW – nur mit uns!“ zu stellen, eine Parade mit mindestens 20.000 Menschen mit einer Mottogruppe anzuführen unter Beteiligung von Politikern, behinderten, älteren, jungen Schwulen und Lesben und solchen mit Migrationshintergrund sowie den AIDS-Hilfen? Was ist Politik, wenn nicht bei einem dreitägigen Massenspektakel wie diesem [...] eine inhaltliche Eröffnung, ein Gedenken für die Verstorbenen, eine über einstündige Hauptkundgebung sowie eine Schweigeminute durchzuführen und auf der Politurbühne an zwei Tagen insgesamt vier Podiumsdiskussionen à 45 Minuten zu den Themen Gleichberechtigung, Migration, HIV-Prävention und Selbsthilfeförderung zu veranstalten? [...] Was ist Politik, wenn nicht einer sechzehnköpfigen polnisch-europäische Delegation[...] die Teilnahme am ColognePride [...] zu ermöglichen?

Was ist Politik, wenn nicht einem 19jährigen schwulen Deutsch-Türken, der sich ehrenamtlich in der Internetaufklärung für Jugendliche des schwul-lesbischen Jugendzentrums anyway in Köln engagiert, einen Preis zu verleihen und ihn damit auf eine Stufe mit Vizekanzler Müntefering zu stellen, der für seine Initiative für die Selbsthilfeförderung schwul-lesbischer Arbeit in NRW in seiner Zeit als Sozialminister in Düsseldorf geehrt wurde [...]? [...]GUIDO SCHLIMBACH, Pressesprecher AIDS-Hilfe NRW

[...] Ich hatte es kommen sehen: Denn mit journalistischer Ignoranz begegnete die taz bereits in den vergangenen Monaten dem politischen Kampf der schwul-lesbischen Selbstorganisation um die Abwendung der Mittelkürzungen im Landeshaushalt NRW. Den Höhepunkt bildet nun die Berichterstattung zum Kölner CSD. [...], fast sämtliche politischen Aktivitäten des Kölner Lesben- und Schwulentags, des Schwulen Netzwerks NRW und der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW fallen einfach unter den Tisch. [...] Auch die Kerzenlichteraktion oder die Beiträge auf der Politurbühne am Sonntag sind der taz keine Bemerkung wert. [...] Stattdessen wird der politische Charakter des Kölner CSD mit den Headlines und der Abwertung von Lale Akgüns Engagement verunglimpft. [...]ALEXANDER POPP, Landesgeschäftsführer des Schwulen Netzwerk NRW

[...] Angesichts dieser Fülle von Aktivitäten nur von „einer politischen Eintagsfliege“ zu sprechen, bei der die Politik in der Feiereuphorie verschwindet, ist zu kurz gesprungen. Sicherlich ist für viele Kölnerinnen und Kölner der CSD eine Art Sommerkarneval geworden und neben den Kölner Lichtern, dem (früheren) Ringfest oder zuletzt der Fußball-WM ein Grund für viele Menschen jeglicher Couleur rauszugehen und zu feiern. Wer will es Ihnen verbieten..?! Vielleicht hat das herzliche Flirten zwischen politischen Paraden-TeilnehmerInnen und der am Rand stehenden sog. heterosexuellen Mehrheitsbevölkerung mehr in den Herzen und Köpfen verändert, als vieles was wir für hochpolitisch erachten. [...] Eine Zeitung wie die taz, die sich zu recht auf die Fahnen schreibt wesentliche Ereignisse im Kontext zu erkennen und herauszustellen, kann eigentlich nicht zu diesem Schluss kommen.ARND KLOCKE, Landesvorsitzender Grüne NRW

[...] Auch ich bin als Teilnehmer an der Preisverleihung der Kompassnadel sehr überrascht über Ihre Art der Berichterstattung. Verwundert in erster Linie darüber, dass Ihre Zeitung einen ansonsten ausgezeichneten Ruf in Bezug auf die Berichterstattung hat, der meiner Meinung nach mit den genannten Artikeln leider nicht mehr zu rechtfertigen ist. Das bedaure ich sehr! [...]CHRISTIAN PUKOWNIK, Bochum

Als regelmäßiger Leser der taz war ich, gelinde gesagt, irritiert von Ihrer Sicht und Kommentierung des diesjährigen CSD in Köln. Spaß an einer Veranstaltung zu haben schließt politisches Denken und Handeln nicht aus. [...] Seit Dezember letzten Jahres gerieten die lesbischen und schwulen Strukturen in NRW gezielt unter heftigsten Druck der derzeitigen Koalitionsregierung. Dass es gelang, die angedrohten und in ihrer Konsequenz Struktur zerstörenden Haushaltskürzungen von fast 40 Prozent auf 20 Prozent zu kürzen, ist nur einer starken Mobilisierung und vorbehaltlosen Zusammenarbeit unter sämtlichen nordrheinwestfälischen Lesben- und Schwulengruppen zu verdanken. Hier zeigte sich, wie politisch die Strukturen sind, die sich am letzten Wochenende zum Feiern und gemeinsamen „Flagge zeigen“ in Köln trafen. [...] WOLFGANG BLISCHKE, Haan

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