Abgespannt wie Papa

Von wegen Ferien! Nicht wirklich lustig ist der Alltag in der Hauptstadt der Kinder „FEZitty“ in der Wuhlheide. Geldverdienen, Entscheidungen treffen, Steuern zahlen – hier ist das Erwachsensein in

VON ANDREA EDLINGER

Ein Skandal erschüttert die Stadt: Der regierende Bürgermeister soll während seiner Arbeitszeit eine private Spritztour auf einem Segelboot unternommen haben. In seinem offiziellen Terminkalender sind derweil keine Gründe für diese Tour ersichtlich. Ob der Bootsunternehmer hier unlauter politisch Einfluss nehmen wollte oder ob der Bürgermeister einfach nur der Hitze seines Büros entfloh, ist noch nicht geklärt. Die Lokalzeitung jedenfalls hat den Urlaubsskandal des Bürgermeisters sofort auf die Titelseite gebracht: „Bürgermeister fährt während seiner Arbeitszeit Segelboot“.

Wir sind zwar in Berlin, jedoch ist es nicht der Regierende Klaus Wowereit, der für Schlagzeilen sorgt, sondern der Bürgermeister der Kinderstadt „FEZitty“. Bereits zum fünften Mal hat das Jugendzentrum FEZ an der Wuhlheide dieses Projekt auf die Beine gestellt, bei dem Kinder das Sagen haben und das Leben in der FEZitty eigenständig organisieren. Eine Stadt ohne Eltern – das klingt nach Regellosigkeiten und Fantasiewelten oder zumindest nonstop Cola und Popcorn. Doch von all dem ist in der FEZ-Gemeinde nichts zu sehen: Statt Spielen ist Geldverdienen angesagt, die Bootsaffäre des Bürgermeisters und die Angst vor Arbeitslosigkeit sind die Themen, die die sieben- bis vierzehnjährigen Bewohner beschäftigen – und auch sonst ist in der Kinderstadt fast alles so wie in einer wirklichen Stadt.

Jeden Tag kommen bis zu tausend Kinder auf das 6 Hektar große Gelände und alles verläuft in geordneten Bahnen. Wer die FEZ-Gemeinde betritt, muss zuerst zum Einwohnermeldeamt. Dort wird der Stadtausweis gestempelt. Dann suchen sich die Kinder im Jobcenter einen von 150 Berufen. Nur wer vier Stunden gearbeitet hat, wird Stadtbürger und darf wählen und für das Amt des Stadtrats oder des Bürgermeisters kandidieren. Für Nachrichten und Unterhaltung sorgen die stadteigene Zeitung, der Radiosender Radijojo und ein TV-Programm.

Statt eine eigene Welt zu erschaffen, sollen sich die Kinder auf die bestehende vorbereiten. „Der Alltag der Eltern wird durch Abläufe bestimmt, die Kindern oft nicht klar sind. Sie merken nur, dass ihre Eltern abgespannt von der Arbeit kommen. Es geht uns darum, ihnen solche komplexen Abläufe wie das Arbeitsleben oder andere Alltagssituationen verständlich zu machen“, erklärt der pädagogische Leiter des FEZ, Bernd Grospitz. Ganz bewusst setze man auf Realitätsnähe, denn FEZitty versteht sich als „Partizipationsprojekt, das nicht nur so tut, als hätten die Kinder Verantwortung. Sie müssen pausenlos Entscheidungen treffen und lernen so, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen“, so Grospitz.

Bei den Kindern scheint dieses Konzept gut anzukommen. „Das ist ein angenehmer, ruhiger Job“, sagt der 13-jährige David, der hinter einem Schalter im Jobcenter Arbeitsausweise sortiert und stempelt, „und außerdem hat man viel mit Kindern zu tun“ – als sei er selbst keines mehr. Die beiden Sparkasse-Kassierer Paul und Hannes sind froh, überhaupt einen Job gefunden zu haben: „Vor zwei Jahren waren wir schon hier und damals waren wir arbeitslos, denn es gab zu viele Kinder und zu wenig Stellen.“ Von ihrem Arbeitslohn wollen sie später ins Internet-Café gehen und vielleicht eine Bootstour machen.

Bezahlt wird in FEZitty mit Wuhlis. Für eine Stunde Arbeit bekommt man fünf Wuhlis abzüglich 20 Prozent Steuern. Nachlässigen Umgang mit Zahlen kann man den Stadtbewohnern nicht vorwerfen: Pippi Langstrumpf würde mit ihrem „Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt und drei macht neune“ hier nicht durchkommen.

Und dennoch: „Es gibt eine Schnittmenge zwischen Pippi Langstrumpf und den Fezianern. Pippi ist ein starkes Mädchen, das die Dinge durchsetzt, die es sich vornimmt. Und genau das können die Kinder bei uns auch“, sagt Bernd Grospitz. Egal ob fröhliche Anarchie oder reglementierte Kinderstadt: Aus beiden Welten sollen die Kinder gestärkt heraus gehen.

Für den Erfolg des Kinderstadt-Konzeptes spricht, dass in den vergangenen Jahren bereits in anderen Städten wie München, Wien oder Bozen ähnliche Projekte stattgefunden haben. Das Interesse der Eltern sei groß, erzählt Bernd Gropitz, „teils weil es ein günstiges Ferienangebot ist, teils weil die Eltern merken, dass ihre Kinder hier selbstbewusst und mit neuen Erfahrungen herausgehen“.

Vielleicht deutet die FEZitty auf einen Rollentausch hin, der sich auf größerer Ebene abspielt als nur einem Ferienprojekt. Während in den letzten Monaten Bücher und Feuilleton-Debatten propagierten, dass die Generation der 40- und 50-Jährigen sich jugendlich fühlt und einfach nicht erwachsen werden will, scheint es hier genau andersrum zu sein: Jung ist das neue Alt. „Wenn ich abends nach Hause komme“, grinst FEZ-Bewohner Anton, „sage ich zu meinen Eltern: Lasst mich bloß in Ruhe, ich habe den ganzen Tag gearbeitet.“

FEZitty in der Wuhlheide, bis 20. August, Di.–So. 11–18 Uhr, Sa. 13–18 Uhr, Informationen unter www.fezitty.de