SCHWERHÖRIGKEIT KANN BEIM THEATERBESUCH EINE GROSSE GNADE SEIN
: Husten, Schniefen, Furzen

ANJA MAIER

Ach ja, meine Rente. Zugegeben, als ich von der SPD-Idee hörte, besonders fleißige und arbeitsbedingt gebeutelte Mitbürgerinnen und Mitbürger sollten mit 63 Jahren ihr Austragshäusl beziehen dürfen, machte auch ich mich ans Zusammenzählen. Hier eine Ausbildung, da ein Studium, das eine oder andere Kind. Dann ackern, ackern, ackern nicht zu knapp und durchaus mit Vergnügen. Und schwupps, sagt mein Taschenrechner, sollten 45 Jahre verstrichen sein, mit 63 Jahren könnte das süße Leben beginnen. Oder?

Najaaaaaa, so einfach ist das nun auch wieder nicht. Manches wird angerechnet, manches nicht oder nur halb. Es gilt Rentenpunkte mit dem Gatten zu teilen, und gerade erst habe ich kapiert, dass ich als Kind der Mittsechziger-Babyboomer-Jahrgänge ohnehin bis zum Anschlag arbeiten muss. Die niedrige dreistellige Summe, die mir die Rentenversicherung in Aussicht stellt, macht schon ein bisschen mutlos. Aber jammern? Eher nicht. Um das Ende kümmere ich mich, wenn’s ansteht. Noch ist es nicht so weit.

Gerade war ich im Theater. Dort hatte ich Gelegenheit, jene Aufbaugeneration in Augenschein zu nehmen, bei deren Erwähnung Sigmar Gabriel regelmäßig feuchte Augen kriegt. Es war eine dieser gediegenen hauptstädtischen Bühnen, wo alles ganz sauber ist. Rote Samtsessel, ein aufgeräumtes Bühnenbild, die Kostüme der Schauspieler eher Boss als P&C. Hier im Publikum waren sie zu bestaunen: alte Leute. Veilchenduft und onduliertes Silberhaar bei den Damen, karierte Wolljacketts und gebügelte Baumwolltaschentücher bei den Herren. Eine Rentnergeneration hatte sich eingefunden, bereit für kulturelle Erbauung.

Es wurde nach Vorstellungsbeginn schön hell und recht laut auf der Bühne. Die Schauspieler artikulierten ihre Texte so gekonnt, dass die Hörgeräte der Silberrücken im Parkett übersteuerten und ein hochfrequenter Grundton zu hören war. Manche Dame, mancher Herr nestelte sich am Ohr herum und verfrachtete das elektronische Helferlein in die Tasche, wo es mit dem nicht ausgestellten Handy rückkoppelte. Hinzu kamen jahreszeitlich bedingtes ununterbrochenes Gehuste und Geschniefe, was zum lautstarken Gebrauch der Taschentücher und knisterndem Mentholbonbonverzehr führte. Ich begriff, dass es auch schön sein kann, mit dem Alter immer weniger zu hören – das hätte mir zumindest gestattet, die röhrenden Fürze des Herrn hinter mir nicht wahrzunehmen.

Dienstagv Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowksi Luft und Liebe Freitag Jürn Kruse Fernsehen Montag Maik Söhler Darum

Nach anderthalb Stunden war es vorbei. Dem betagten Publikum hatte es gut gefallen im Theater. Nach dem Applaus setzte eine Art ungegenderter Nahkampf um die Mäntel ein. Es war ein ziemlich heftiges Geschubse und Gerangel. Und wenn mal jemand „Unerhört!“ schimpfte oder „Moment mal, ich war aber zuerst da“, dann stellte es sich als sehr vorteilhaft heraus, dass die Hörgeräte noch nicht wieder installiert waren. Nach all der Gediegenheit des Abends fand ich dieses Scharmützel sehr beeindruckend. So mache ich das später auch, nahm ich mir vor. Vorausgesetzt, ich kann mir dann Theaterkarten leisten.