Die Kunst der Stunde

ORTSTERMIN Trevor Paglen spricht bei der Berliner Transmediale über den Kampf gegen Geheimnisse

Ist es eigentlich revolutionär oder doch nur ein Rückschritt, wenn plötzlich die Wahrheit schon als Kunst verkauft wird? Art as Evidence? Denn die Wahrheit knallt doch schon genug: Geheimgefängnisse, zivile Fluggesellschaften, die für Entführungsflüge gegründet wurden, bei Amazon bestellte USB-Sticks, die mit Spitzelsoftware ausgeliefert werden.

Das zu wissen – Kunst?

Seine Kunst, sagt Trevor Paglen, besteht daraus, den Widersprüchen zwischen Geheimnissen und ihrer Materialisierung auf den Grund zu gehen. Das hört sich kompliziert an, ist aber eigentlich ganz einfach: Geheimnisse sind soziale Institutionen, die immer künstlich aufrechterhalten werden. Wer großen Aufwand betreiben will, um – sagen wir – eine geheime Infrastruktur zur Entführung von Menschen weltweit zu organisieren, braucht eine gute Logistik und Flugzeuge. Flugzeuge aber bestehen aus Material, und Material reflektiert Licht. Man kann sie also finden. Trevor Paglen hat Flugzeuge gefunden. Und geheime Militärbasen in der Pampa.

Mit seinen Vorträgen begeistert der US-Künstler seit seinem Auftritt beim Chaos Communication Congress die deutsche Hackerszene. Am Donnerstag gibt er auf der Transmediale in Berlin einen weiteren Einblick in seine Kunst und präsentiert dabei auch Stoffaufnäher. Selbst die geheimsten Geheimmilitäreinheiten ließen es sich nicht nehmen, sie zu tragen. Es ist ein lustiger Abend.

Neben Trevor Paglen sitzen Jacob Appelbaum und Laura Poitras. Appelbaums Kunst, sagt er, bestehe eher daraus, Leaks zu verwalten und Texte zu schreiben. Laura Poitras hat Edward Snowden gefilmt. Aber vorher war sie in Abu Ghraib, begleitete die Leiche eines Guantánamo-Häftlings in den Jemen. Sie dokumentierte den Krieg gegen den Terror aus einer anderen Perspektive. Art? Evidence!

Es ist eigentlich banal, aber von großer Perfektion. Was sie Kunst nennen, ist die Kunst der Recherche. Hunderte spenden ihnen dafür leidenschaftlich Beifall. Geil, so geil. Muss man sich einfach angucken: paglen.com.

MARTIN KAUL, BERLIN