Pygmalion im Pantheon

Floyd Landis ist der Sieger der 93. Tour de France. Aber ist der Amerikaner auch der künftigePrinzipal des Pelotons, einer, der beim Thema Doping nicht nur Plattitüden von sich gibt?

AUS PARIS SEBASTIAN MOLL

Floyd Landis’ großer Angriff in den Alpen, mit dem er sich aus aussichtsloser Lage wieder zurück in den Kampf um den Tour-Sieg katapultiert hat, gilt jetzt schon als ein Klassiker des Radsports. Das war ein heroischer Streich, wie ihn in der Geschichte der Tour nur wenige Fahrer vollbracht haben. Und die, die so etwas konnten, waren die großen Legenden. In den vergangenen fünfzig Jahren konnte das eigentlich nur Eddy Merckx. Lance Armstrong und Miguel Induráin gelang niemals ein solcher Coup und schon gar nicht Jan Ullrich.

Und dann sitzt Landis da mit seiner umgedrehten Baseballkappe und einem Lausbubengrinsen, so, als freue er sich schelmisch über irgendeinen Unsinn, den er angestellt hat, einer, der eigentlich nichts so richtig ernst nimmt, inklusive sich selbst. Der Tour-de-France-Sieger gibt zu, dass sein komplettes Französischvokabular aus „café“ und „bière“ und „merci beaucoup“ (amerikanisch ausgesprochen: mörceee bohukuuuuhhh) besteht und er das auch noch witzig findet: ein übermütiger amerikanischer Collegeboy.

Repressive Kindheit

Man bekommt die beiden Bilder des neuen Champions nicht so richtig zusammen – das des dauerpubertierenden MTV-Kids einerseits und des Überathleten andrerseits, der sich mit seinen Großtaten schon jetzt einen festen Platz im Pantheon der Tourhistorie gesichert hat. Man kann bestenfalls versuchen, sich diese Doppelpersönlichkeit aus Landis’ Biografie zu erklären.

Die Geschichte von seiner repressiven Kindheit ist Teil der Landis-Mythologie geworden. Floyd Landis hat sich per Fahrrad aus dem überregulierten Alltag einer sektenähnlichen Glaubensgemeinschaft frei gestrampelt. Er wollte sein Leben nicht im 17. Jahrhundert verbringen, er wollte Teil des zeitgenössischen Amerika und der westlichen Welt sein. Als er es mit 17 geschafft hatte, sich aus dem Pennsylvania Dutch Country nach Kalifornien abzusetzen und sich als Mountainbikeprofi durchzuschlagen, entdeckte Landis, wie der amerikanische Journalist Dan Coyle schreibt, das moderne Leben als eine Art „mennonitischer Pygmalion“. Er studierte mit Hilfe seiner Radkollegen akribisch Filme, Popmusik, Fernsehen und wie man mit Mädchen umgeht. Dieses Popleben in Südkalifornien gefiel ihm, und so nahm er schnell und gekonnt die Rolle des Cool-Kids an. Aber sie blieb angelernt.

Nicht angelernt war hingegen seine Fähigkeit, härter und konsequenter zu trainieren als alle anderen. Und kompromissloser seine Ziele zu verfolgen. Sein Vater hatte ihm das Radfahren verboten und seinen Sohn so mit Arbeit im Haus und im Familienbetrieb überhäuft, dass keine Zeit mehr fürs Fahrrad blieb. Landis aber trainierte trotzdem. Heimlich. Nachts. Das sind die beiden Pole von Landis’ Persönlichkeit. Der beinharte Arbeiter auf dem Rad, der sich aus sich heraus, ganz allein, grausamer schindet, als sich das normale Menschen vorstellen können, so geschehen bei seiner Attacke am Col de Joux-Plane und der gesamten Tour, die er im Grunde ohne nennenswerte Mannschaftsunterstützung gewann. Auf der anderen Seite ist da seine Popidentität, die er bewusst und gezielt an die Stelle des Mennonitentums gesetzt hat, vor dem er wohl bis heute wegzuradeln versucht.

Womit Landis freilich noch eindeutig überfordert ist, ist die öffentliche Rolle des Champions, des Patrons. Landis’ Vorgänger Lance Armstrong hat diese Rolle geliebt, er wollte der Sprecher und Herrscher des gesamten Radsports sein, nach Möglichkeit des Weltsports insgesamt. Staatstragend zu sein, fiel Armstrong nicht nur leicht, sondern bereitete ihm sichtbare Befriedigung.

Sperrige Deklaration

Nicht so Landis. Er mag das überhaupt nicht, es ist ihm fremd. Als er gefragt wird, was denn seine Botschaft als Tour-Sieger ist, windet er sich und quält sich dann stockend eine sperrige Deklaration heraus. Seine Botschaft, so Landis, sei keine andere, als die Botschaft der Tour de France. Sie sei ein wundervoller Sportwettkampf und Radsport ein wundervoller Sport. Dem, was man auf der Landstraße zu sehen bekommt, habe er nichts hinzu zu fügen.

Zum Thema Doping mochte er sich zunächst überhaupt nicht auslassen. Auf wiederholtes Drängen brach aus ihm mit einigem Zorn jedoch jene Radfahrerattitüde heraus, die man über die Jahre nur allzu gut kennen gelernt hat. „Der Ausschluss der Fahrer zu Beginn der Tour war für uns alle ein Unglück. Keiner von uns hat daraus eine Befriedigung gezogen.“ Das Problem war demnach die Suspendierung und der Medienrummel darum, nicht etwa die Doper und das Doping. Und die Ausgeschlossenen waren Opfer. Das sagt Landis zwar nicht, aber das implizieren seine Aussagen.

Landis will möglichst unbehelligt Radrennen fahren. Ansonsten möchte er mit seinem Kumpel David Zabriskie in ihrer, wie man hört, chaotischen Junggesellenbude in Girona in Spanien hausen, viel und hart trainieren, Unfug anstellen, herumalbern, Bier und Cappuccino in rauen Mengen trinken und Musik hören. „Ich hoffe sehr, dass sich mein Leben jetzt nicht ändert“, sagte er, nachdem er am Samstag das Gelbe Trikot übernommen und nach Paris getragen hatte.

So einfach wird Landis aber nicht davonkommen. Seine adoleszente Unbefangenheit kann zwar ausgesprochen charmant sein. Als Star, der er nun zweifellos ist, wird sie ihm jedoch vermutlich Schwierigkeiten bereiten. Es wird Zeit, dass der Pygmalion aus Pennsylvania das Studium einer neuen Rolle antritt. Die Baseballkappe und die Cappuccino-Exzesse mit seinem Kumpel muss er ja deshalb nicht aufgeben.