Folteropfer Dimitri Bulatow darf ausreisen

GEWALT In der Ukraine mehren sich Fälle von Entführungen und Misshandlungen missliebiger Oppositioneller. Die unbekannten Täter verschleppen ihre Opfer in einsame Waldgebiete

BERLIN taz | Schnittwunden im Gesicht, das halbe Ohr abgeschnitten, ein blutdurchtränktes Hemd am Leib: Schwer verletzt tauchte Dimitri Bulatow am Donnerstagabend wieder auf – acht Tage nachdem der führende Aktivist der ukrainischen Demokratiebewegung spurlos verschwunden war. Für die nächsten Tage wird die Ausreise des 35-Jährigen erwartet. Die ukrainischen Behörden hatten ihm erlaubt, das Land zu verlassen, um sich im Ausland weiter medizinisch betreuen zu lassen.

Die Genehmigung kam offenbar auf Initiative von Frank-Walter Steinmeier zustande. Der Bundesaußenminister verwies am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz auf eine entsprechende Zusicherung seines ukrainischen Kollegen Leonid Koschara. Noch am Vortag war Bulatow unter Hausarrest gestellt worden. Gegen den Schwerverletzten läuft ein Verfahren wegen Teilnahme an Massenunruhen. Das Innenministerium in Kiew hatte am Freitag erklärt, es schließe nicht aus, dass der Aktivist seine Entführung „inszeniert“ habe.

Bulatow zählt zu den führenden Aktivisten des „Automaidan“. Das sind motorisierte Demonstranten, die in großen Kolonnen die Luxusvillen der Regierenden ansteuern, um auf deren Reichtum aufmerksam zu machen. Der Vater von drei Kindern gehört zu den Anhängern des Oppositionspolitikers Vitali Klitschko.

Der 35-Jährige ist nicht der erste proeuropäische Demonstrant, der in Kiew unter mysteriösen Umständen tagelang verschwand. Offenbar agiert in der ukrainischen Hauptstadt eine Folterschwadron. Bulatow berichtete, mehrere Männer, die Ukrainisch mit russischem Akzent sprachen, hätten ihn am 22. Januar entführt und misshandelt. „Sie haben mich gekreuzigt, sie haben meine Hände angenagelt. Sie haben mein Ohr abgeschnitten, mir ins Gesicht geschnitten. Es gibt keinen Punkt meines Körpers, an dem ich nicht geschlagen wurde“, sagte Bulatow. Schließlich sei er bei minus 20 Grad Kälte in einem Wald aus einem Auto geworfen worden und habe sich bis zu einen Dorf schleppen können, wo ihm geholfen wurde.

Westliche Politiker verurteilten den Vorfall. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Aston zeigte sich „entsetzt“. Die USA forderten eine baldige Klärung. „Wir sind tief besorgt aufgrund zunehmender Berichte über Demonstranten, die verschwinden, geschlagen und gefoltert werden. Das Gleiche gilt für Angriffe auf Journalisten“, sagte ein Sprecher von US-Präsident Barack Obama. Amnesty International erklärte: „Das ist Barbarei, die sofort beendet werden muss.“

Bulatows Geschichte ähnelt auffällig dem Bericht von Ihor Luzenko. Er gehört einer Gruppe von Denkmalschützern an, die gegen die Zerstörung historischer Bauten kämpfen. Am 21. Januar brachte Luzenko einen verletzten Demonstranten namens Juri Werbytzki in seinem Auto ins Krankenhaus. Dann verschwanden beide Männer. Erst einen Tag später meldete sich Luzenko wieder und berichtete, etwa zehn Männer hätten sie aus dem Krankenhaus entführt und in einem Wald gefoltert und verprügelt. „Auf allen vieren“ konnte er sich in eine nahe Siedlung retten. Für Werbytzki dagegen kam jede Hilfe zu spät: Der gefesselte Mann erfror im Wald.

Der russische Journalist Nikita Perfilew berichtete am Samstag von einem ähnlichen Vorfall. Danach seien er und sein Kameramann in Kiew von Unbekannten entführt und misshandelt worden. „Wir wurden geschlagen, und man hat uns empfohlen, nach Russland zurückzukehren“, schrieb er in einem Blogeintrag. Perfilew will in Kiew bleiben und weiter berichten.KLAUS HILLENBRAND