Das Trauma vom Sommer 2003

PARIS taz ■ Für 34 Départements im Osten und im Süden Frankreichs galt weiterhin die Hitzealarmstufe „orange“ (3 auf einer Skala von 4), und die relative Abkühlung in der westlichen Landeshälfte dürfte von kurzer Dauer sein. Denn schon warnen die Behörden für die kommenden Tage vor erneuten Rekordwerten. Mehrfach wurden Temperaturen von 40 Grad Celsius im Schatten gemeldet. Trotz aller Vorkehrungen und Warnungen in Presse und Rundfunk starben bereits 22 Menschen aufgrund der Hitze. Die meisten von ihnen waren alt und gesundheitlich schwach. Ein Opfer in Bordeaux war obdachlos.

Über die Opferbilanz und ihre Hintergründe wird nun debattiert. So schreibt die Gewerkschaft CGT beispielsweise auch einen Todesfall beim Stahlkonzern Acelor in Dunkerque der Hitze zu beziehungsweise der mangelnden Prävention durch den Arbeitgeber: Ein im Freien beschäftigter 44-jähriger Arbeiter war an seinem ersten Arbeitstag, noch vor der obligatorischen Arztvisite, an einem Herzschlag gestorben.

Gesundheitsminister Xavier Bertrand versprach, die Behörden würden nichts vertuschen und jeden Donnerstag eine offizielle Bilanz veröffentlichen. Doch die „Canicule“ (auf Deutsch: Hundstage) wecken in Frankreich Erinnerungen an den Sommer 2003, als rund 15.000 Menschen einer außergewöhnlichen Hitzewelle zum Opfer fielen – ein traumatisches Erlebnis für die Nation. Die Ursachenforschung ergab damals Schwachstellen in der Katastrophenprävention und im öffentlichen Gesundheitssystem, namentlich in den während der Ferienwochen personell unterbesetzten Notfallstationen. Auch die Isolation vieler älterer Mitbürger wurde zum Thema gemacht. Die Tragödie wurde der damaligen Regierung zum politischen Verhängnis, da sie das Ausmaß der Konsequenzen völlig unterschätzt hatte und so bei vielen Franzosen den Eindruck von Gleichgültigkeit erweckte.

Dafür, warum auch dieses Mal die Hitzewelle in Frankreich bislang mehr Opfer forderte als in den Nachbarstaaten, hat die Regierung keine Erklärung. Premierminister Dominique de Villepin versicherte, man habe alle notwendigen Lehren aus dem Desaster von 2003 gezogen. Der meteorologische Alarmplan und die Notfallpläne der Krankenhäuser wurden völlig überarbeitet, dank zusätzlicher Mitteln erhielten viele Alters- und Pflegeheime Klimaanlagen und das verlangte Hilfspersonal. Finanziert wurde dies zum Teil dank der Einnahmen aus der noch von der Regierung Jean-Pierre Raffarin eingeführten „Fronarbeit“ am Pfingstmontag. Villepin und seine Minister stehen in der Prävention mit Besuchen in Altersheimen und Notfallstationen gut sichtbar an der Front. An Urlaub dürfen die meisten Regierungsmitglieder ohnehin nicht denken, solange „Canicule“-Alarm herrscht. RUDOLF BALMER