piwik no script img

BLUTIGES VON BARTHES, BOURDIEU UND HUGO, DAZU BLUNA, BRANDY UND SCHALOTTENCONFITNicht kochen könnende Junggesellen

VON RENÉ HAMANN UND AMBROS WAIBEL

Klar, zum Fleisch gehört Rotwein. Blut zu Blut, Medium zum Medium. Das Blut der Rinder, das Blut der Herren. Das Blut der französischen Soldaten. Entrecote kam diesmal „in der Qualität von Charolais“ – was das auch immer heißen mag: Aßen wir nun ein Teil dieses süßen, mächtigen, schneeweißen französischen Rinds – oder zerschnitten wir mit holzbegrifften Steakmessern von Nirosta etwas Charolaisähnliches, so wie es inzwischen Käseähnliches gibt auf den Billigpizzen dieser Welt? Und wieso fragten wir nicht nach?

Weil wir schlicht die Zeit vergaßen, uns besprechend. Über Eltern. Über den Rhein. Über Leben an der Staatsgrenze. Über den Satz, dass am Ende jeder auf sich selbst zurückgeworfen ist – und ob diese Phrase nicht eine der ganz üblen Phrasen ist. Ähnlich oder authentisch – wir tafelten in der Tradition der Bourbonen, mit Schalottenconfit (heißt, die Schalotten wurden eingekocht) und Kartoffelgratin. Das Fleisch ließ auf sich warten, und kam dann eine Spur zu saignant. Groß wie ein Teller. Mitunter verknorpelt. Sonst muy rico, und für die Beilagen muss es Extrapunkte geben. Nur Bluna sollte man nicht zu dem Menü trinken. Bluna verbreitet zu viel Regression in dieser Zone des langsamen Fortschritts.

Wir hatten es diesmal über die Brücke geschafft, so wie Hugo. Hugo, der eigentlich Felix heißt und mit Nadja verheiratet ist, hatte zuerst die Kantina in der Friedelstraße, dann hat er dankenswerterweise das Maybach von einem grässlichen Bartträger übernommen, hier drüben in der Ohlauer Straße; der Laden läuft jetzt unter „Nudel-Hugo“ und verbreitet mit seiner gartenartigen Terrasse einen mediterranen, postakademischen Charme.

Natürlich wird italienisch geredet, die mit den blauen Augen am Nebentisch hat gleich ein Wörterbuch mitgebracht. Und natürlich wird spanisch gerrrrollt. Für die Kleinen gibt es einen kleinen Sandkasten. Die Bedienungen sind freundlich-vorwitzige Jungs. Sie haben was Sizilianisches – der Espresso ist ja auch gut, und wenn man zum Abschluss einen Brandy bestellt, dann bekommt man auch einen Brandy und kein studentisches „Hä?“.

Über die Brücke kamen wir in die Zone des Fortschritts, die Neuköllner Spielwiese schwappt an die Carportlandschaft des mittleren Kreuzbergs, dorthin, wo der Weg zum Dealer nicht weit ist. Das G-Wort fiel natürlich auch. Das G-Wort fällt natürlich überall. Der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten. Vermutlich auch in der blutüberströmten Küche des Nudel-Hugo. Wir stellen uns den Nudel-Hugo als Comicfigur vor, so wie neulich Major Grubert, und nicht als reale Person, die Pachtverträge unterschreibt und einen arbeitslosen Koch einstellt. Es läuft nicht so wie in Mitte. Noch lange nicht. Wir werden noch Glück haben zehn Jahre lang. G-Wort hin oder her.

In den sechziger Jahren, lesen wir bei Roland Barthes, war das Entrecote das perfekte Mahl für den Junggesellen, da es Einfachheit und Anspruch aufs Beste vereinigte. Der nicht kochen könnende Junggeselle ist in unserer flexiblen Gesellschaft allerdings verschwunden, das heißt, es gibt ihn wohl noch, aber wer nicht kochen kann, hat auf dem Distinktions- und Beziehungsmarkt keine Chance. Dazu mehr bei Bourdieu.

In Mode ist dagegen wieder der Junggesellenabschied gekommen, als weitere aus Amerika kopierte Tradition der letzten männlichen Ausschweifung vor der Hochzeit. Die Hochzeit wird verschoben, immer weiter nach hinten, lebt aber wie andere Relikte der alten Bourgeoisie in neuem Gewand wieder auf.

Auch wenn die Ewigkeit heutzutage nur noch drei Tage dauert, und man am Ende wieder auf sich selbst zurückgeworfen ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen