Annemarie Mevissen ist tot
: Die Bürgermeisterin

Die erste Frau, die es in Deutschland zur stellvertretenden Chefin eines Bundeslandes gebracht hat, ist am 13. Juli verstorben. Annemarie Mevissen wurde 91 Jahre alt. Sie war von 1967 bis 1975 zweite Bürgermeisterin in Bremen. Für den etablierten männlichen Politzirkel der Hansestadt schien das offenbar so ungewöhnlich, dass Mevissen in der offiziellen Kommunikation stets mit der Bezeichnung „Bürgermeister“ geführt wurde.

Bei der gestrigen Trauerfeier im Bremer Rathaus würdigte der amtierende Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), dass seine Parteigenossin „fast drei Jahrzehnte das soziale Gewissen unserer Stadt und unseres Bundeslandes“ gewesen ist. Bekannt war Mevissen dafür, dass sie mit großem Eifer für ihre Überzeugungen einstand. Die Nationalsozialisten verboten ihr das Lehramtsstudium, denn sie hielten sie für „politisch unzuverlässig“, weil sie sich in der linken Arbeiterjugend engagierte.

Zwei Jahre nach dem Krieg brachten die Bremer Wählerinnen und Wähler sie als damals jüngste Abgeordnete in die Bürgerschaft, 1951 berief Bürgermeister Wilhelm Kaisen sie zur Senatorin für das Jugendwesen. Bald machte sich Mevissen einen Namen als vehemente Streiterin für die soziale Gerechtigkeit. So stieg Bremen in ihrer Amtszeit zum Vorreiter auf für „beschützende Werkstätten“, einem Angebot für Menschen mit Behinderungen. Den Ruf, der „einzige Mann im Senat“ zu sein, handelte sie sich 1968 ein: Gegen geplante Tariferhöhungen für die öffentlichen Verkehrsmittel gingen Schüler und Studierende auf die Barrikaden. Kurzerhand sprang Annemarie Mevissen auf eine Streusandkiste und erreichte mit ihrer Ansprache eine Fortsetzung des Dialogs.

Als damals dienstälteste Landesministerin zog sie sich schließlich 1975 aus der Politik zurück, zuletzt malte sie und schrieb Bücher. Vergangenes Jahr konnte sie sich noch über eine besondere Würdigung freuen: Sie erhielt die Bremer Ehrenbürgerschaft. „Wir nehmen Abschied von Annemarie Mevissen“, schloss Bürgermeister Jens Böhrnsen gestern seine Traueransprache, „in Dankbarkeit für ihr Leben.“ THOR