EINE NEUE KNEIPE, IN SCHÖNSTER SCHEINAUTHENTIZITÄT MIT BUKOLISCHEN UTENSILIEN – HALT GANZ RUSTIKAL MIT ELEKTROPOP UND ALTEN MÄNNERN MIT RAUSCHEBÄRTEN
: Self Service mit kitschigen Naturbildern

VON RENÉ HAMANN

Da hat eine neue Kneipe aufgemacht, bei uns im Kiez. Eine neue Bar, und just genau an der Stelle, wo früher so eine Altberliner Eckkneipe gestanden hat – das Sanderstübl, dessen Untergang von Gentrifizierungsgegnern öffentlich angeprangert wurde. Nun also das: derselbe Raum, anderer Inhalt, mit einem Namen, der eher nach Rixdorf gepasst hätte: Zum böhmischen Dorf.

Also eine schöne Scheinauthentizität, die noch von einer Wand unterstrichen wird, einer Wand mit, tja, bukolischen oder sonst wie romantischen Utensilien. Ihr wisst schon: kitschige Naturbilder mit Holzhütten und alten Männern mit Rauschebärten und Pfeifen, dazu stilisierte Bierkrüge und Ähnliches. Ganz wie bei meiner Oma in ihrem Schwarzwaldhäuschen, das sie sich in ihren rheinländischen Garten hat bauen lassen damals.

Im Böhmischen Dorf jedenfalls soll es rustikal zugehen. Am frühen Freitagabend läuft Elektropop von der Sorte, dass man Lust hat, „Blue Monday“ von New Order zu hören. Im wirklich großformatigen Raum, der auch eine ordentliche Stehkneipe ergeben könnte, von denen es in Berlin immer noch zu wenige gibt (das Möbel Olfe bildet die Ausnahme), sind verschiedenformatige Sitzgruppen installiert. Es gibt hohe Tische mit Barhockern, es gibt vielleicht ein, zwei Sofalandschaften zum bekifften Herumhängen, ansonsten gibt es niedrige Sessel, in denen man sich schnell in Grundschulzeiten, ja: versetzt fühlt. Zum Sichnäherkommen ist das alles eh nix.

Es herrscht „Self Service“, was immer noch besser ist als „Schichtwechsel“ (hallo Ringo!), dafür verspricht die Karte mehr, als sie halten kann. Überall liegt Werbung für die Stammbiermarke herum – welche es in der besseren Bar an der nächsten Straßenecke eben nicht mehr gibt, und das obwohl sich das Böhmische Dorf und das Bürkner-Eck nicht wirklich als Konkurrenten zu verstehen brauchen: Denn wenn ich das so recht überblicke, ist Ersteres für Jungvolk konzipiert und sieht ohnehin eher aus wie eine von diesen jugendlich daherkommenden Pinten in Friedrichshain. Während das Bürkner-Eck eben einen Stil pflegt, der zugegebenermaßen dann auch seinen Preis hat.

Im Bürkner-Eck waren wir dann auch noch. Später. Hier lief irgendwann Joy Division, ohne dass es unangenehm auffiel. Ich habe gelernt, dass Jever mit f gesprochen wird und gar nicht mal so schlecht schmeckt, wie ich immer dachte. Um mich herum wurde viel geraucht, und natürlich hätte man sich anschließend gleich komplett neu einkleiden können. Und doch fühlt es sich nicht so schlimm an wie im Holz-Kohlen, vermutlich weil die Entrauchung hier besser funktioniert. Vielleicht sollten auch gewisse Installateure vom neuen Flughafen hier einmal ihr Feierabendbier trinken.

Den Klatsch, der sich so ergeben hat an diesem Wochenende, lasse ich hier jetzt einmal aus. Nur so viel sei gesagt: Im Bürkner-Eck kann man auch mal, wenn man Glück hat, Laura Himmelreich über den Weg laufen; ich habe sie leider verpasst neulich. Überhaupt kann man hier den einen oder anderen Kollegen antreffen. Ihr wisst also, wo ihr uns finden könnt.