biertunnel knoppek von JOACHIM SCHULZ
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Es war fast Mitternacht, als das Telefon klingelte. Raimund war dran, und er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand. „Raimund!“, sagte ich: „Was ist los? Geht’s dir nicht gut?“ – „Doch“, wisperte er, „aber ich brauche deine Hilfe.“ Ich seufzte, denn genau so etwas hatte ich befürchtet. „Meine Hilfe? Wobei?“ – „Ich bin“, flüsterte er, „im ‚Biertunnel Knoppek‘.“

Mir trat schlagartig der kalte Schweiß auf die Stirn, da der „Biertunnel Knoppek“ einen dermaßen üblen Ruf hat, dass Weicheier wie ich sofort die nackte Angst ergreift, wenn sie nur den Namen hören. „Oha“, stammelte ich, „das …“ Raimund jedoch unterbrach mich. „Ich setze auf dich!“, flüsterte er: „Komm schnell!“ Dann legte er auf, und ich sah vor meinem geistigen Auge ein paar wüste Haudraufs, die Raimund umzingelt hatten und ihn sogleich nach Rowdy-Art vermöbeln würden, weshalb ich überlegte, ob es nicht schlauer wäre, das Überfallkommando zu alarmieren. Andererseits aber würde selbst Raimund nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet mich anzurufen, wenn er von einer finsteren Haudrauftruppe die Erlaubnis bekäme, vor Keilereibeginn noch mal schnell zu telefonieren, und also eilte ich los.

Als ich den „Biertunnel Knoppek“ betrat, erstarben alle Gespräche in der Kaschemme. Raimund saß an der Theke. „Bist du total plemplem?“, zischte ich ihm zu, nachdem das allgemeine Gemurmel wieder eingesetzt hatte: „Lass uns verschwinden, und zwar sofort!“ – „Nicht ohne die Prinzessin“, sagte er kaltblütig. „Hä?“, machte ich. Er wies mit einer Kopfbewegung auf die junge Frau hinter der Theke und flüsterte: „Was glaubst du, warum ich dich angerufen habe? Ich hole sie hier raus, und du hilfst mir dabei!“ Ich starrte ihn verständnislos an. „Raimund“, sagte ich, „die Frau arbeitet hier! Ich glaube kaum, dass sie auf einen Ritter wartet, der sie befreit!“

Raimund aber meinte es ernst. „Sie arbeitet doch nie im Leben freiwillig hier! Vielleicht muss sie eine alte Schuld ihrer Familie begleichen oder aber der Kneipenboss droht, ihren kleinen Bruder ansonsten an malaiische Piraten zu verkaufen.“ – „Mann, Raimund“, nölte ich, „woher willst du das denn wissen?!“ – „Ich habe ein Gespür für so was“, sagte er, „pass auf, ich habe folgenden Plan: Du lenkst die anderen Gäste ab, und ich …“

Im selben Moment tauchte ein vierschrötiger Bärbeiß hinter uns auf. „Wisst ihr was, Jungs?“, knurrte er. „Mir gefallen eure Nasen nicht!“ – „O …“, stotterte ich verlegen. Bevor mir aber etwas Beschwichtigendes einfiel, schoss Raimunds Prinzessin hinter der Theke hervor. „Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, du sollst in meinem Laden keinen Ärger machen, Herbert!“, fauchte sie den Übelmann an. „Also raus jetzt! Für heute hast du Feierabend!“ – „Aber …“, machte der, doch schon kriegte er – batsch! – von ihr dermaßen eine geknallt, dass er unter dem Gelächter der übrigen Kerle davontrottete.

„Und ihr“, wandte sich die Prinzessin an uns, „verschwindet ebenfalls!“ – „Aber …“, machte Raimund, doch auch er kriegte – batsch! – im Handumdrehen eine geknallt. Schließlich hakte ich meinen Kumpan unter und führte ihn, der nun abgrundtief an der Welt und an der Liebe verzweifelte, mit noch lange schlotternden Knien nach Hause.