: DIE KLEINE WORTKUNDE[personal jesus]
Nina Hagen hat ihr 16. Studioalbum veröffentlicht. Beruhigend, dass die Hagen nach bizarren Talkshowauftritten, gewagten Thesen zu Ufos und Außerirdischen sich nun wieder der Musik zuwendet. Der Titel wirft aber Zweifel auf, ob die 55-Jährige dem Außerirdischen so ganz abgeschworen hat.
Er lautet „Personal Jesus“ (zu Deutsch: persönlicher Jesus) wie der Hit von Depeche Modes „Violator“-Album aus dem Jahre 1990. Hagen hat eine Coverversion des Stücks eingespielt. Damit hat sie sich in illustre Gesellschaft begeben. „Personal Jesus“ hat in den letzten Jahren immer wieder KünstlerInnen und Bands zu Interpretationen herausgefordert. Die bekannteste stammt von Marilyn Manson. Die Kombination zwischen „Bürgerschreck“ Manson und den religiösen Assoziationen, die der Song weckt, regen jenseits des amerikanischen Bible Belt wohl niemanden ernsthaft auf. Spannender wird es da schon mit Tori Amos. In Verbindung mit der elfenhaften, unschuldigen Erscheinung der Songwriterin bekommt „Personal Jesus“ eine verruchte Note. Maria Magdalena lässt grüßen.
Spiritueller ist die Version von Johnny Cash. Seine brüchige Stimme und die karge Akustikgitarre machen „Personal Jesus“ zur Offenbarung eines alten Mannes, der trotz eines von vielen Tiefen gezeichneten Lebens mit sich im Reinen ist. Dabei hatten Dave Gahan und Martin Gore, aus dessen Feder der Song stammt, „Personal Jesus“ weit weniger explizit religiös verstanden. In der Bandentwicklung stellt das Stück eine wichtige Hinwendung zu Gitarrenklängen nach dem Synth-Pop ihrer Frühphase dar. Der Bruch fällt zusammen mit den umwälzenden historischen Entwicklungen der Jahre 1989.
Auf die hedonistische Sorglosigkeit der 80er folgte die noch enthemmtere Phase der 90er. Gahan und Gore schienen die negativen Folgen dieser Euphorie bereits zu ahnen. „Feeling unknown And you’re all alone“, heißt es in „Personal Jesus“. Eine Absage an den kollektiven Rausch und ein romantischer Rückzug ins Private.
Bei Nina Hagen verbindet sich nun der Wunsch nach Subjektivität mit der religiösen Lesart des Songs. Nachdem sie jahrelang dem Buddhismus zugeneigt war, ist es nun der christliche Glaube, aber auf ihre eigene Art. „Personal Jesus“ eben. JULIAN JOCHMARING
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