Mal wieder Flagge zeigen

Von der WM-Spaßbeflaggung sind nur Restfahnen geblieben. Aber die haben es in sich. Jetzt werden Flaggen wieder gehisst, gestreckt und verbrannt – nicht nur anlässlich des Krieges im Libanon

VON MARTIN REICHERT

Wer jetzt noch die deutsche Fahne am Balkon oder am Auto hängen hat, ist entweder einfach nur schlampig bis vergesslich oder dumpfdeutsch – ähnlich den notorisch flaggenden Schrebergartenbesitzern auf den Höhen des Westerwaldes oder im Streusand Brandenburgs. Den Schlampigen kann verziehen werden, schließlich muss eine Flagge im Gegensatz zur Fahne, die juristisch ein nicht vertretbares Einzelstück darstellt, keineswegs zeremoniell beerdigt werden, sondern darf dem Verschleiß bzw. dem Mülleimer anheim gegeben werden.

Die Flagge an sich ist eine abstrakte Anordnung von Farben, Flächen und Zeichen in meist rechteckiger Form. Häufig in Tuchform verwendet dient sie der Markierung von Zugehörigkeit zu Gemeinschaften und Körperschaften. In der Art ihrer Nutzung überträgt sie allerdings weitere Informationen, man kann sie auf Halbmast hängen, um Trauer zu signalisieren, um die Hüfte schlingen, um seine Nationalelf moralisch zu unterstützen oder in Anlehnung an die Standartenform ins Autofenster klemmen, um seiner allgemeinen Lebensfreude Ausdruck zu verleihen.

Letztere, weniger ernsthafte Nutzungsformen der Flagge überwogen in den Wochen der WM, es handelte sich mehrheitliche um eine reine Spaßbeflaggung, harmlos und unpolitisch. Doch nunmehr ist Schluss mit lustig: Flaggen werden wieder gehisst, gezeigt, gestreckt und auch verbrannt.

So wurde im sachsen-anhaltinischen Pretzien nach Zeugenaussagen nicht nur das Tagebuch der Anne Frank verbrannt, sondern auch eine US-Flagge, nach der israelischen vielleicht die meistverbrannte Flagge der Welt. Letzte Woche wurden einem österreichischen Touristen, der sich aus nicht näher erläuterten Gründen mit einer um die Schultern gelegten Israel-Flagge durch das brandenburgische Königs Wusterhausen bewegte, eine Verbrennung selbiger angedroht: von zwei Herren mit Glatze, die ihn mit antisemitischen Parolen belegten und schlugen.

Die israelische Flagge sieht man derzeit allenthalben auf Demonstrationen, auf denen für das Existenzrecht Israels gestritten wird, in den Straßenzügen der Großstädte sieht man Libanesen, die die Zedern-Flagge ihrer Heimat (und nicht die der Hisbollah) aus dem Fenster hängen oder – im Anschluss an die WM-Anwendung – im Autofenster klemmen haben. Auch ihnen geht es um die Existenz ihres Landes, in dem man derzeit vor allem weiße Fahnen auf den Autos der Flüchtenden sieht, die supranationale Flagge schlechthin: Lasst mich bitte am Leben. Die aus Beirut nach Damaskus flüchtenden deutschen Staatsbürger versuchten es mit Schwarz-Rot-Gold an den Bussen. Und hatten Erfolg.

Der israelische Botschafter Schimon Stein fordert indes die internationale Staatengemeinschaft auf, „Flagge zu zeigen in der Auseinandersetzung mit dem weltweiten Terrorismus“, dies wäre dann entweder die Nato- oder UN-Flagge – womöglich beide. Wie bemerkte doch am Sonntag der israelische Generalstabschef Dan Haluz, um die libanesische Bevölkerung auf einen Einmarsch vorzubereiten: „Ein Jet kann keine Flagge hissen“, manchmal müsse ein Soldat dem Feind ins Auge blicken und ihn bekämpfen. Mit Spaßbeflaggung hat das alles nichts zu tun.

Während der WM hatte die Flaggerei noch allen Freude bereitet, den Gastgebern, weil sie sich erstmals erlaubt hatten, „unverkrampft“ mit ihrem nationalen Symbol zu spielen, den Gästen sowieso. Doch so, wie die WM bereits jetzt gefühlte zwei Monate zu Ende ist, kommt die Ernüchterung: Eine Fahne ist eine Fahne ist eine Fahne, sie ist zentrales Symbol des modernen Nationalstaates inklusive positiver und negativer Aufladungen. Man schwenkt sie nicht nur fröhlich bei Sportveranstaltungen, man kann auch die Särge gefallener Soldaten damit einwickeln, die bei dem Versuch, selbige irgendwo zu hissen, ums Leben gekommen sind.

Wenn die Verwendung der deutschen Fahne nun angeblich zur Selbstverständlichkeit geworden ist, kann man sie erst mal mangels Schwenk-Anlass wieder einholen. Im Moment stünde der Welt die weiße Fahne ohnehin am besten.