Hunderte Oppositionelle hinter Gittern

Die brutale Repression der Regierung Äthiopiens gegen die Opposition hat die Geber vorsichtig werden lassen. Nur zögerlich werden gestoppte Gelder wieder freigegeben. Für die USA ist das Land Partner im Antiterrorkampf, vor allem gegen Somalia

Sie schlugen uns,bis wir beteuerten,nie wieder zu demonstrierenWir wollen nicht das Regime unterstützen, aber auch nicht die Armen im Stich lassen

AUS ADDIS ABEBAFRANZISKA HEIDENREICH

Das Leben in Addis Abeba scheint ruhig und friedlich. Auf den staubigen Straßen der äthiopischen Hauptstadt drängen sich blau-weiße Taxis und rot-gelbe Busse, dazwischen trotten schwer beladene Esel und Fußgänger. Nur die Staatspolizei in ihren beigen Uniformen oder in blauen Kampfanzügen lässt erahnen, dass der Schein trügt.

Das vergangene Jahr war in Äthiopien ein Jahr der Gewalt. Im Juni 2005 wurden Demonstrationen der Studenten der Universität Addis Abeba gegen die Ergebnisse der ersten freien Wahlen Äthiopiens einen Monat zuvor brutal niedergeschlagen. Es gab dutzende Tote. Es waren wirklich freie Wahlen mit öffentlichen Debatten und Wahlkampagnen im ganzen Land gewesen. Voller Enthusiasmus hatten unglaubliche 90 Prozent der Wahlberechtigten den oft beschwerlichen Weg zur Wahlurne angetreten.

Doch es folgten heftige gegenseitige Beschuldigungen wegen Wahlbetrugs. Denn zur Überraschung der regierenden Partei EPRDF (Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front), die sich per Guerillakrieg 1991 an die Macht gekämpft hatte, wählten viele Äthiopier die Opposition. In Addis Abeba erreichte das oppositionelle Bündnis CUD (Coalition for Unity and Democracy) 98 Prozent der Stimmen.

Um nicht im ganzen Land die Macht zu verlieren, manipulierte die Regierungspartei laut den europäischen Wahlbeobachtern die Ergebnisse auf dem Land und erklärte sich zum Sieger, ohne das amtliche Endergebnis mitzuteilen. Bei den darauf folgenden Protesten starben mindestens 36 Menschen. Tausende Studenten landeten in Gefangenenlagern außerhalb der Hauptstadt.

Der Student Daniel war einer von ihnen. „Sie schlugen uns, bis wir beteuerten, nie wieder gegen die Regierung zu demonstrieren“, erinnert er sich. Drei Tage wurde Daniel festgehalten – bei Wasser, Brot und Schlägen. Tausende sind noch heute gefangen.

Als im September endlich die offiziellen Wahlergebnisse bekannt gegeben wurden – mit einem Sieg der regierenden EPRDF –, rief das Oppositionsbündnis zum friedlichen Widerstand auf. Und erneut kam es am 1. November zu Unruhen in der Hauptstadt, die brutal niedergeschlagen wurden. Über 50 Menschen, darunter Studenten, Schüler und Frauen, kamen dabei ums Leben.

Seitdem warten über hundert Regierungskritiker, Oppositionelle und Journalisten auf ihr Urteil. Sie sind wegen Hochverrats und versuchten Völkermords angeklagt – Völkermord an der Volksgruppe der Tigray, die den Großteil der Regierung stellt. Auf Völkermord steht Todesstrafe. Es gibt praktisch keine freie Presse mehr in Äthiopien, da die Redakteure im Gefängnis sitzen.

In der kleinen Studentenbar „Che“ unweit der Universität schaut sich Helen Epherem unsicher um, wenn sie über die politischen Repressionen der „Meles-Diktatur“, die Polizisten am Eingang der Universität oder über vermisste Studenten spricht. Auf dem Campus sind Diskussionen über die aktuelle politische Lage tabu. „Politik ist zu emotional“, sagt Helen. „Wir haben Angst, dass eine Diskussion entfacht wird, alle Studenten ansteckt und wir wieder demonstrieren.“ Außerdem könnten sie bespitzelt werden und ihren Studienplatz verlieren.

Seit März explodierten insgesamt 18 Bomben bei vier Anschlägen auf offener Straße, in Cafés und in Sammeltaxis. Neben vielen hundert Verletzten gab es auch fünf Tote. Die Regierungspartei beschuldigte anfangs die Opposition, dann terroristische Gruppen aus Eritrea. Doch viele Äthiopier sind der festen Überzeugung, dass die Regierung die Bombenanschläge selbst inszenierte. Auch aus europäischen Diplomatenkreisen heißt es: „Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung selbst hinter den Anschlägen steckt.“ So könne die Regierung ihre Repression als Antiterrorkampf entschuldigen.

Äthiopien ist eigentlich ein Land, dem mit internationaler Entwicklungshilfe gern Gutes getan wird – die Hungersnöte der 80er-Jahre mit Millionen Toten sind nicht vergessen. Was macht man da als Geberregierung heute? „Wir stecken in einem moralischen Dilemma“, beklagt ein deutscher Vertreter vor Ort, „wir wollen nicht das diktatorische Regime unterstützen, aber auch nicht die Ärmsten der Armen Äthiopiens im Stich lassen.“ Als Reaktion auf die Repression strichen die Geberländer im Dezember 2005 sämtliche Gelder, die direkt in die Budgethilfe fließen.

Während vor allem Großbritannien und die EU viel Kritik üben, versuchen die USA, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Sie setzen auf Äthiopien als Verbündetem im Antiterrorkampf gegen Somalia und seine islamistischen Herren. Im Mai fanden Weltbank und Großbritannien einen Kompromiss: Ihre Äthiopien-Hilfen, 385 Millionen Dollar, fließen wieder, aber nicht in den Staatshaushalt, sondern in Projekte im Bildungs- und Gesundheitswesen. Humanitäre Nothilfe war vom Hilfsstopp sowieso nicht betroffen.