Summer in the City

HIPPEN empfiehlt In „The Exploding Girl“ erzählt Bradley Rust Gray in den ruhigen Bildern der„Mumblecore Movies“ vom sommerlichen Alltag einer jungen Amerikanerin

„The Exploding Girl“ ist eher ein Stimmungsbild als etwa eine Romanze über Teenager mit der gängigen Dramaturgie dieses Genres

VON WILFRIED HIPPEN

In den USA erschrecken Jugendliche einander gerne mit dem „urban myth“, also einem Alltagsmythos, von der „internal combustion“ : Man habe von einem gehört, der einen kannte, der wiederum und so weiter. Und dieser sei plötzlich ohne erkennbare äußerliche Einwirkung in Flammen aufgegangen. Angeblich gibt es viele von solchen rätselhaften Selbstentzündungen, aber die Medien, das FBI oder die CIA versuchen natürlich, diese unheimliche Entwicklung zu vertuschen.

Der Mythos ist wohl auch deshalb so beliebt und langlebig, weil durch das Sprießen der eigenen Widersprüche das Gefühl, kurz davor zu sein, innerlich zu explodieren, vielen 14- bis 20-Jährigen nicht allzu fremd sein dürfte. In diesem Sinne ist die College-Studentin Ivy tatsächlich ein „Exploding Girl“, auch wenn in dem Film von Bradley Rust Gray keinerlei Spezialeffekte zum Einsatz kommen. Stattdessen folgt ihr eine neu entwickelte digitale HD-Kamera bei einem Besuch während der Sommerferien im Elternhaus in New York. Zuerst sieht man sie schlafend im Auto. Ihr Freund aus Kindertagen, Al, hat die gleiche Mitfahrgelegenheit genutzt und so kommen die beiden zusammen zuhause an. Daran, wie sie sich ansehen, erkennt der Zuschauer von Anfang an, wie es um sie steht, aber Ivy hat im College noch ihren Freund Greg und Al ist so ahnungslos, dass er Ivy um Tipps bittet, wie er bei einem anderen Mädchen ankommen kann. Beide sind verschlossen, und wenn sie tatsächlich mal ein Gespräch miteinander führen, reden sie auf eine fast schon komische Art und Weise aneinander vorbei. Dabei fragt er sie immerhin, ob sie mal „Babies haben möchte“ und sie platzt mit einem „deine Babies?“ heraus. Aber da beide so in ihre eigene Verlegenheit verstrickt sind, können sie die Botschaft des anderen nicht lesen.

In übertragener Weise explodiert Ivy tatsächlich, denn sie leidet an epileptischen Anfällen, die in emotionalen Stresssituationen auftreten. Aus dieser Krankheit wird nicht viel Aufhebens gemacht, aber im Laufe des Films wird immer deutlicher, wie schwierig es für das junge Mädchen ist, den ganz normalen Alltag zu bewältigen, und dass ihre Ausgeglichenheit auf einer stoischen Charakterstärke basiert.

„The Exploding Girl“ ist eher ein Stimmungsbild als etwa eine Romanze über Teenager mit der gängigen Dramaturgie dieses Genres. Ivy geht spazieren, langweilt sich abends in ihrem Bett, telefoniert viel auf dem Handy und hört Musik. Da wird vieles über Nuancen erzählt: über Blicke, zögerliche Bewegungen und durch atmosphärische Leitmotive, wie die Bilder von Taubenschwärmen, die oft über die Dächer fliegen.

Mit dieser zurückgenommenen, poetischen Erzählweise gehört „The Exploding Girl“ zu einer neuen Bewegung des unabhängigen Films in den USA, die „Mumblecore“ genannt wird, und zu der Joe Swanberg („Alexander the Last“) und Andrew Bujalski („Funny Ha Ha“) gehören. Mit geringem Budget und digital (also billig) gedreht, wird in ihnen über das Lebensgefühl junger Menschen in den USA „genuschelt“.

David Denby schrieb im New Yorker über das Phänomen: Diese „Filme erzählen zwar Geschichten, sind aber auch lyrische Dokumentationen des Stillstands und der Sprachlosigkeit“. Ein Satz, der auch „The Exploding Girl“ beschreibt, aber dennoch ist da mehr. Vielleicht liegt es daran, wie Zoe Kazan, die Enkelin des Regisseurs Elia Kazan, die Titelheldin darstellt. Da wirkt jede Geste und jedes Wort nicht gespielt sondern gelebt, und schließlich ist man dieser Ivy so nah, dass sie statt zu explodieren zu leuchten scheint.