Von der „Banane“ überholt

Schleswig-Holstein schmollt trotz hoher EU-Fördermittel: Die Nachbarn kriegen mehr. Im Land selbst sollen nicht mehr nur strukturschwache Gebiete gefördert werden

von Esther Geißlinger

„Das Hökern hat sich gelohnt“, fasste Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) zusammen: 332 Millionen Euro aus dem EU-Regionalfonds „EFRE“ könnte Schleswig-Holstein zwischen 2007 und 2013 abgreifen – vorausgesetzt, dass Bund und Land diese Summe in gleicher Höhe kofinanzieren. Das sei gewährleistet, beruhigte Austermann: „Mit dem Finanzminister gab es eine schnelle Einigung.“ Da die EU meist anteilig fördert, müssen öffentliche oder private Investoren weiteres Geld zuschießen, um etwas vom Millionenregen abzubekommen: Insgesamt könnten durch den Anschub aus Brüssel rund zwei Milliarden Euro in Schleswig-Holstein bewegt werden. Ziemlich gut angesichts der Tatsache, dass die EU ursprünglich nur ihre wirklich armen Regionen fördern wollte. Und dazu zählt Schleswig-Holstein trotz des tiefroten Haushaltssaldos doch nicht. Aber die Entscheider in Brüssel haben umgedacht: In der neuen Förderperiode, die 2007 beginnt, gilt als die Lissabon-Strategie als oberste Direktive. Das im Jahr 2001 in Lissabon beschlossene Papier besagt, dass Europa bis 2010 zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt werden soll. Entsprechend setzt die EU ihre Förderprogramme ein: Statt vor allem die schwächsten Gebiete fit zu machen, erhalten die eher starken noch etwas hinzu.

Für Schleswig-Holstein heißt das konkret, dass sich ab 2007 Kommunen, Firmen und Gruppen aus dem ganzen Land um Mittel balgen dürfen. Bisher galten vor allem der abgelegene Norden oder die dünn besiedelte Westküste als förderungswürdig. Demnächst können auch Orte im Hamburger Speckgürtel oder Firmen aus der Landeshauptstadt Kiel den Finger heben: „Wir wollen Unternehmen anregen, ihre Projekte zu melden“, warb Austermann. Den Zuschlag gibt es für „innovative Ideen“, ausgezahlt werden Mittel für Unternehmensgründungen und „Förderung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit“. Weitere Mittel sollen in die „wissensbasierte Wirtschaft“ fließen – als Beispiele dafür nannte Austermann Gründerzentren und „Netzwerke zwischen Forschung und Unternehmen“.

Schon vorab gab es Kritik: „Das Land hängt sich an die Metropolregion“, sagte Lars Harms vor Beginn der Sommerpause. Der Abgeordnete des im nördlichen Landesteil verankerten SSW habe sich im Landtag schon sagen lassen müssen: „Wir schleppen euch im Norden doch bloß durch.“ Harms’ Kollegin Anke Spoorendonk meinte, das Land hätte andere Akzente setzen können: „Es ist ein Mythos, dass die EU alles vorschreibt.“ Austermann hingegen erklärte gestern, es gebe keine Konzentration auf den Speckgürtel: „Wir wollen innovative Projekte mit Wirkung für das ganze Land an den jeweils geeigneten Standorten fördern.“ Und die Lissabon-Kriterien will er sogar übererfüllen: „Schleswig-Holstein wird Wachstumsland Nummer 1.“ Entsprechend gibt es im „Zukunftsprogramm Wirtschaft“, dem das Kabinett gestern zustimmte, keine Akzente, die von der Lissabon-Linie abweichen. Landestypisch will Austermann nur den Bereich Tourismus fördern, etwa Hotelbauten.

Nur eine Kleinigkeit ärgert den Minister: So viel Schleswig-Holstein auch bekommt, die Nachbarn kriegen mehr. Mecklenburg-Vorpommern wurde als noch förderungswürdiger eingestuft: Für öffentliche Projekte gibt es bis zu 90 Prozent, private Unternehmer erhalten 50 Prozent – in Schleswig-Holstein sind es nur 70 beziehungsweise 25 Prozent. Ebenso reich bedacht wie der Nordosten wird eine Region, die es gar nicht nötig hätte: die „Lüneburger Banane“, ein Streifen in Niedersachsen, der an Hamburg heranreicht. Dort leben viele Pendler, entsprechend niedrig ist die Wertschöpfung – Brüssel stufte das Gebiet als besonders arm ein. Austermann hofft aber, indirekt davon zu profitieren: „Niedersachsen will einen Teil des Geldes in Infrastruktur stecken. Damit wird eine Elbquerung wahrscheinlicher.“