neues aus neuseeland: elitäre bücherwand von ANKE RICHTER
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Auch ein kleines, aber feines Land hat seine Dichter und Denker. Nur hat es deshalb noch lange keine Bücherkisten. Man kann überdimensionale Pappen erstehen, die ausschließlich für den Transport des Mountainbikes gedacht sind; man findet sogar Strandsegler-Tragetaschen. Aber eine spezielle Umhüllung für etwas Unpraktisches wie Papier und Druckerschwärze erscheint überflüssig. In der Regel kriegt man den literarischen Bestand eines Kiwi-Haushaltes locker in der Plastiktüte unter.

Als wir mit 40 Bücherkisten einwanderten, fühlte es sich an, als hätten wir zentnerweise Backsteine im Container verschifft. Die Wirkung aufs Image war ähnlich. Niemand fragt direkt: „Wozu braucht ihr die?“ Das wäre unhöflich und damit in Neuseeland ein Fall für amnesty international. Höflich heißt es: „Habt ihr die alle gelesen?“ Sechs Billy-Regale wandern seit Jahren von Wohnung zu Wohnung mit, aber sie mussten erst 20.000 Kilometer überbrücken, bis die Quantität, nicht die Qualität der Meterware jemandem auffiel.

Da stellt sich die Frage: Sind Kiwis ungebildet? Kein bisschen. Gibt es keine Schriftsteller? O doch. Zu viele für vier Millionen. Der Grund muss woanders liegen. „Ach, die Häuser haben alle nicht genug Platz. Wir haben lieber große Fenster mit Ausblick“, erklärt mir eine Frau in der Bücherei. Bibliotheken gibt es genug. Also wird gelesen. Aber Bücher sind teuer. Wer einen Luxusartikel, den man ohne Leihgebühr umsonst bekommt, bei sich rumstehen hat, ist protzig. Angeberei wird ebenfalls schwer geahndet. Zur Schau gestellter Luxus gehört nicht ins Land der Egalität und Bescheidenheit.

Der amerikanische Professor Jeffrey M. Masson hat eine nette, harmlose Liebeserklärung an seine und meine Wahlheimat verfasst: „Slipping into Paradise“. Euphorisch schreibt er darin über Flora, Fauna und seltene Vögel – schließlich stammt auch der Bestseller „Wenn Tiere weinen“ von ihm. Psychologisch versiert erörtert er nebenbei die Zweibeiner, die sich in den südlichen Breitengraden ungestört von überschwänglichen Literaturkritikern entfalten durften. Jeder Nachbar, der sein Haus betritt, so stellt der Schriftsteller amüsiert fest, kommentiere seine Bücherwand. Aber nicht das Gedruckte. Mit Heimwerkerblick würde lieber die Qualität des Holzes inspiziert.

Ich schicke Neu-Kiwi Masson einen Gruß, denn uns verbindet immerhin die auffällige Bücherwand. Die Antwort ist erschütternd. Einen „radikalen Wandel“ habe er durchgemacht, klagt er. Die Begeisterung für sein Exil sei umgeschlagen. Er würde keine Vorlesungen mehr halten. Niemand im Auditorium widerspräche ihm. „Sie sind so schrecklich höflich!“ Und wenn er sich als Intellektueller vorstelle und Leuten eines seiner Bücher in die Hand drücke, dann sei er ein Angeber. Er habe genug – Farnwedel und Kakapo hin oder her.

„Slipping into Paradise“ war also der Ausrutscher im Paradies. Massons Nachbarn können sehr wohl lesen. Sie rückten beim Star-Autor an und beschwerten sich bitter über die Regal-Passage. Keiner spricht mehr mit ihm. Es klingt furchtbar. Ich mache mir Sorgen. Der Assimilation zuliebe wären unsere Bücher besser in der Garage aufgehoben. Die Kisten haben wir jedenfalls noch.