Klingeln, bis die Eltern aufmachen

Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, hilft kein Volkshochschulkurs. Deutsches Jugendinstitut präsentiert Pilotprojekt: Laienhelferinnen suchen die Familien auf und zeigen, wie Zuwendung sein sollte. Aber das muss dauerhaft geschehen

VON COSIMA SCHMITT

Sie gelangten in die Schlagzeilen – nicht nur der Boulevardpresse. Kinder, die verhungerten. Jungs und Mädchen, die in ihren Zimmern vegetierten, ohne Spielzeug und ohne Zuwendung.

Einige Extremfälle entfachten vor ein paar Monaten die Debatte, was zur Vermeidung solcher Schicksale zu tun sei. Wie Eltern geholfen werden kann, die überfordert sind. Nun präsentiert das Deutsche Jugendinstitut (DJI) eine Studie, die ein Pilotprojekt untersucht. „Opstapje“ nennt sich das aus den Niederlanden kopierte Programm. „Hier ist ein Vorgehen gefunden worden, das sozial benachteiligte Familien auch wirklich erreicht“, sagt DJI-Referentin Alexandra Sann.

Gängige Hilfsangebote in Volkshochschulen oder Familienbildungsstätten sind zwar gut besucht. Sie kommen aber gerade bei jenen Familien nicht an, die es am nötigsten hätten. „In solchen Kursen sitzen dann die Powermamas und überlegen, ob sie ihr Kind zur Flötenstunde anmelden sollen“, sagt Sann. „Eine Frau aus einem sozialen Brennpunkt fühlt sich da nicht wohl.“

Auch sonst trennen Kurs und Problemfamilie hohe Hürden: Die Angebote kosten meist Geld. Vor allem aber verlangen sie einen Grad an Initiative, der den Eltern oft fehlt. So vergrößert sich die Kluft zwischen den Mittelschichtszöglingen, bei denen noch die kleinste Auffälligkeit mit Therapeut oder Turnprogramm behoben wird – und denen, die abgehängt sind, bevor sie den Kindergarten erreichen.

Die Opstapje-Koordinatoren erproben andere Wege. Sie schulen Laienhelferinnen, die selbst Mütter sind. Der türkischstämmigen Familie schicken sie eine türkischstämmige Beraterin. Der alleinerziehenden Mutter eine ebenfalls Alleinerziehende. Mit unterschiedlichem Erfolg: „Deutsche Familien sind viel schwerer zu erreichen“, sagt Sann. „Wir müssen mehrmals hingehen, bis vielleicht eine Familie zu einer Probeteilnahme bereit ist.“ Viele hätten Angst, dass sich das Jugendamt einmischt. Migrantenfamilien seien da weit offener, sagt Sann: „Sie erleben, dass die Kinder der Nachbarn in der Schule nicht mitkommen. Das wollen sie ihren Kindern ersparen.“ Hilfreich seien auch die Netzwerke etwa unter türkischen Familien. „Haben Sie eine Mutter überzeugt, meldet sich bald ein ganzes Dutzend an“, sagt Sann.

Wichtigster Unterschied zu VHS und Co: Die Helferinnen gehen zu den Familien hin. Sind die Eltern zur vereinbarten Zeit nicht da, klingeln sie eben am nächsten Tag. Denn alle Programme, die das Hinkommen zu einem Ort und das Einhalten fixer Termine verlangen, scheitern. Auch als Opstapje parallel zu den Besuchen Treffen außer Haus anbot, fand das wenig Zuspruch. So gingen denn die Helferinnen zu den Familien, brachten Spielzeug und Bilderbücher. Sie zeigten den Eltern, wie man mit einem Kind spielt, und hielten sie an, dies jeden Tag zu tun.

Was so banal klingt, zeigte weitreichende Wirkungen. Zu Beginn des Programms war etwa die Hälfte der Kinder entwicklungsverzögert. Zwei Projektjahre später hatten fast alle einen für ihr Alter normalen Stand erreicht. Bei einer Kontrollgruppe ohne Förderung blieb ein solcher Entwicklungsschub aus.

Dennoch – Opstapje allein kann nicht vor einem Randdasein bewahren, fand die Studie heraus. Ein halbes Jahr nach Programmende blieben viele der Kinder erneut zurück. Selbst die, die ganztägig den Kindergarten besuchten, konnten ihren Stand nicht halten. „Sie brauchen gezielte Förderung, jahrelang“, sagt Sann. „Wenn wir jetzt nicht investieren, wird es umso teurer – weil es dann Millionen nie in einen Job schaffen.“