Stadt spielt zweite Kiez-Geige

OPERETTENHAUS Hamburg verkauft sein letztes Gelände auf St. Pauli an den Musical-Riesen Stage Entertainment. Damit verliert die Stadt Gestaltungsraum

1841 eröffnet, wurde es nach einem Brand 1876 wieder aufgebaut.

■ 2007 gab Sponsor Tui dem Operettenhaus seinen Namen.

Den größten Erfolg feierte es mit dem Stück Cats, das 15 Jahre lief.

■ Der Saal bietet Platz für 1.395 Gäste, das Areal ist 3.800 Quadratmeter groß.

■ Weitere Spielstätten: das Theater im Hafen und die Neue Flora, die trotz Protesten das alte Floratheater beziehen sollte. Autonome besetzten es 1989 und nannten es Rote Flora.

Der neue Besitzer des Tui-Operettenhauses am Spielbudenplatz steht fest. Die Stage Entertainment Germany, die das Haus seit 2002 gemietet hat, soll Eigentümerin des Theaters mit 1.395 Sitzplätzen werden. Der Musical-Veranstalter sei sich mit dem Senat handelseinig geworden, es fehle lediglich die Zustimmung der Bürgerschaft, sagte Stage-Sprecher Stephan Jaekel am Donnerstag. „Durch die Neuwahlen des Senats am 25. August sind aber mehr Fragezeichen hinzugekommen.“ Geplant sei nach der Übernahme vor allem die Investition in eine „zukunftsfähige“ Bühnentechnik.

Laut einer Senatsdrucksache, auf die sich das Hamburger Abendblatt beruft, liegt die Verkaufssumme bei 7,1 Millionen Euro, zu der sich aber weder Jaekel noch Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde, äußern wollten. Das Problem: Das Operettenhaus ist das letzte Gelände auf St. Pauli, das sich noch in städtischer Hand befindet. Mit dem Verkauf würde Hamburg ein hohes Maß an Gestaltungsspielraum verlieren – diese Kritik kam jetzt aus den Reihen der SPD und der GAL. Der SPD-Stadtentwicklungsexperte Andy Grote äußerte gegenüber dem Hamburger Abendblatt die Befürchtung, durch den Verkauf sei die Nutzung des Gebäudes als Theater langfristig nicht mehr gesichert. „Ein solches Schlüsselgrundstück darf die Stadt nicht einfach so veräußern“, monierte Grote.

Je mehr die Stadt ihre städtebauliche Planungshoheit aus der Hand gibt, desto stärker werden Bezirke wie St. Pauli der Gentrifizierung ausgesetzt – ein Thema, das seit Jahren in Hamburg heiß diskutiert wird. Besonders im Stadtteil St. Pauli entstehen derzeit viele kostspielige Neubauten.

In Sichtweite des Operettentheaters werden die umstrittenen „Tanzenden Türme“ des Architekten Hadi Teherani gebaut, in denen ausschließlich Büroräume untergebracht werden sollen. Fragwürdig insofern, als in der Stadt vor allem Wohnräume Mangelware sind.

Für Jaekel war der Standort des Hauses das entscheidende Kaufargument. Die Stage Entertainment, der etwa die Hälfte der elf Theater gehören, die sie bespielen, feierte mit „Mamma Mia!“ und dem Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ Verkaufsrekorde. Neben dem Operettenhaus, der Neuen Flora und dem Theater im Hafen plant der Veranstalter jetzt eine vierte Spielstätte.

Sorgen um ein mögliches Überangebot macht sich Sprecher Jaekel nicht.EMILIA SMECHOWSKI