WAS DIE KNOLLE LEHRT
: Kartoffelkunst im Prinzessinnengarten

VON HELMUT HÖGE

Die zwei Projektemacher des nomadischen „Urban-Garden“ am Moritzplatz: „Prinzessinnengarten“ behaupten: „Wir sind eigentlich keine Gärtner, sondern Kuratoren.“ Es kommen tatsächlich immer mehr Leute, die sich gelegentlich oder täglich um die dortigen Nutz- und Fromm-Pflanzen „kümmern“. Es finden Gartenkonzerte, Gartentafeln und Workshops statt, ein Imker stellte vier Bienenvölker ab, eine Uni-Initiative zeigte Filme über Stadtgärten in Amerika und Südafrika.

Und die dänische Künstlerin Åsa Sonjasdotter initiierte ein nomadisches Kartoffelfeld mit den unterschiedlichsten Sorten, mittels derer sie die Geschichte dieser Kulturpflanze gewissermaßen nachzeichnet: Die Kapitel bestehen aus jeweils fünf Pflanzen und einem Schild mit den nötigen Erklärungen. Angefangen mit den Nachkommen der im 16. Jahrhundert aus Südamerika nach Europa gelangten und 1587 erstmalig beschriebenen neuen Feldfrucht über einige alte bäuerliche Kartoffelsorten, die sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen (wie die dänische „Asparges“, die ostdeutsche „Adretta und die westdeutsche Industriekartoffel „Linda“ – die jetzt aus dem Verkehr/Verzehr gezogen werden soll) bis hin zu Neuzüchtungen wie die „Rote Emma“ von Karsten Ellenberg. Der Kartoffelzüchter aus Barum bei Bad Bevensen baut 170 Sorten an, diese hat er nach der „Mutter der Anarchie“ Emma Goldmann benannt.

Unterdrückte Kartoffeln

Bei einem Rundgang durch die Kartoffelgeschichte erklärte uns Sonjasdotter: „Sie hat viel mit Wissen und Macht zu tun. Die Bauern hatten einmal die Macht über ihr eigenes Leben, das dann mehr und mehr reguliert und systematisiert wurde. Deswegen nenne ich die Geschichte ‚Order of Potatoes‘ – auch die Kartoffel wurde hochorganisiert.“

Die Künstlerin stammt von der dänisch-schwedischen Insel Ven, wo ihre Eltern eine Hobbylandwirtschaft haben. Sie studierte Kunst in Kopenhagen und kam eher zufällig auf die Kartoffel, wie sie sagt. Das war, als sie sich mit den unterschiedlichen „Stimmen“ im öffentlichen Raum und dem Begriff der „Vielfalt“ beschäftigte. Eine Studienreise nach Indien führte sie zu einer Gruppe von Bäuerinnen, die mit traditionellem Saatgut arbeiteten, um sich damit gegen dessen Industrialisierung im Rahmen der indischen „Green Revolution“ zu wehren: „Sie sind sich des Wissens, das mit der Sorten-Vielfalt verbunden ist, sehr bewusst,“ meint die Künstlerin.

Nach Skandinavien zurückgekehrt, engagierte sich Sonjasdotter im Feminismus. Zudem wollte sie ihre Erfahrungen aus Indien „auf die hiesigen Verhältnisse übertragen. Die Bäuerinnen redeten von traditionellem und kommerziellem Saatgut. Das bezog sich vor allem auf den Reisanbau. Meine Eltern bauten in ihrer kleinen Landwirtschaft immer Kartoffeln an.“

Åsa Sonjasdotter begann, die Bauern in der Umgebung zu fragen, ob sie noch alte Sorten hätten. Sie fand mehr, als sie gedacht hatte. Das Saatgut brachte sie dann auf dem elterlichen Acker aus. „Damals war ich mir noch nicht darüber klar, ob und wie sich das mit meinem Beruf als Künstler verbinden könnte. Ich begann dann, nach der Geschichte meiner Kartoffeln zu forschen, die bereits seit Jahrtausenden in den Anden kultiviert werden.“ Die Künstlerin reiste nach Südamerika und studierte den Kartoffelanbau dort.

„Man kann die Kartoffel wie ein Prisma benutzen, um die Geschichte zu betrachten. Während der Industrialisierung etwa brauchten die vielen Menschen, die in die Stadt vertrieben wurden, Nahrung. Die Kartoffel war dafür perfekt geeignet. Einige Historiker meinen sogar, dass sie die damalige Bevölkerungsexplosion erst bewirkte.“

Wer gießt die Pflanzen?

Åsa Sonjasdotters Kunst besteht seit neun Jahren darin, dass sie an verschiedenen Orten unterschiedliche Kartoffelsorten anbaut. In diesem Herbst wird sie ihre Feldfrüchte in Los Angeles, Bukarest und Berlin ernten. Weil sie viel unterwegs ist, kann sie sich nicht richtig um die Kartoffeln kümmern. „Aber es gibt im Prinzessinengarten jemand, Markus Bennar, der sie gießt, von Kartoffelkäfern befreit usw. Ich helfe ihm ab und zu.“

Um eine Zwischenbilanz ihrer Kartoffelkunst gebeten, sagt sie: „The potatoe is the Joker in the Global Game. When the big system fails the people start helping themselve by growing their own food.“ Dies trifft sich mit einer Einschätzung der Soziologin Karin Knorr Cetina: „Wir leben bereits in nach-gesellschaftlichen Projektwelten“ – und die „Landlust“ hat Konjunktur. Das lässt sich täglich auch im „Prinzessinnengarten“ beobachten.

Gleichzeitig werden Arme aus den Städten aufs Land zurückgedrängt, wie eine französische Studie ergab, die von „rural ghettos“ spricht. Dort müssen sie sich wieder mit Garten und Kartoffelanbau beschäftigen. Auch diese Entwicklung gehört zur Gentrifizierung: Die einen wünschen sich ein Kartoffelfeld, die anderen verfluchen es.