„Fans wollen nur Stehplätze“

Braunschweig baut sein Stadion um. Ein Gespräch mit Architekt Helmut C. Schulitz über Komfort und vielseitige Verwendbarkeit, den Trend zum künstlichen Klima und das Green-Goal-Programm der Fifa

Interview: Klaus Irler

taz: Herr Schulitz, was haben die Braunschweiger mit ihrem Stadion vor?

Helmut C. Schulitz: Beim Braunschweiger Stadion geht es um einen Umbau: Die Westtribüne wird an heutige Anforderungen und die Bestimmungen des DFB angepasst. Es geht darum, den Komfort zu verbessern, das heißt, Logen und eine VIP-Zone einzubauen und Fanshop und Fanrestaurant zu vergrößern. Dann geht es darum, die Umkleiden für die Sportler auf den letzten Stand zu bringen, Mixed-Zone und Medienbereiche zu verbessern und zum Beispiel auch einen vernünftigen Zugang für die Spieler zum Spielfeld zu schaffen, durch den zwei Mannschaften gleichzeitig einlaufen können. Aber man will in Braunschweig entgegen dem heutigen Trend kein reines Fußballstadion haben. Das Stadion bleibt ein Allround-Stadion. Das finde ich im Grunde positiv.

Das Stadion behält also seine Aschenbahn.

Ja. Die Braunschweiger sind sich bewusst, dass sie eines der wenigen mittelgroßen Stadien haben werden, die etwa für eine deutsche Leichtathletik-Meisterschaft in Frage kommen. Das will man nicht aufgeben: Man hofft weiterhin, die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften nach Braunschweig zu holen. Wenn die meisten Stadien zu reinen Fußballstadien umgebaut sind und die wenigen verbleibenden Allround-Stadien, wie das Münchner Olympiastadion, für eine Deutsche Meisterschaft viel zu groß sind, hat ein mittelgroßes, 20.000–25.000 Personen fassendes Stadion die besten Chancen, eine gute Stimmung für Leichtathletik aufkommen zu lassen.

In Braunschweig spielt man außerdem American Football – die Braunschweig Lions sind amtierender Deutscher Meister. Es geht also um ein Stadion für Fußball, American Football und Leichtathletik, und das will man auch so beibehalten.

Wird das Publikum in Braunschweig nicht die Nähe zum Spielfeld vermissen?

Das Braunschweiger Stadion ist verhältnismäßig eng: Die Tartanbahn ist ganz nah an der Tribüne. So dass man an den Längstribünen Angst haben könnte, dass der, der außen läuft, von einem Zuschauer gestört wird. Insofern kann man es sich leisten, das Allround-Stadion zu belassen, denn man sitzt auf den Längstribünen sowieso nah am Spielfeld.

In den modernen Stadien haben längst die Hartschalen-Sitze die durchgehende Bank verdrängt, außerdem setzen die Vereine immer mehr auf Logen. Gibt es einen Trend zur Vereinzelung im Stadion?

Nein. Auf Bänken sitzen Zuschauer oft enger, als es statthaft ist. Die Hartschalen-Sitze haben auch etwas mit der Sicherheit zu tun, weil man nur so kontrollieren kann, wie viele Leute in einer Reihe sitzen. Das ist in der Versammlungsstättenverordnung klar geregelt.

Etablieren Logen und VIP-Bereiche eine Klassengesellschaft in den Stadien?

Nein, es gibt nur unterschiedliche Ansprüche und Interessen unter den Zuschauern. Es gibt zum Beispiel Fans, die partout keinen Sitzplatz wollen. Wir haben in Hannover beim Bau der AWD-Arena von der Fifa die Auflage bekommen, dass nur Sitzplätze geplant werden dürfen. Daher haben wir für die Fans Vario-Sitze installiert, die umgeklappt werden können, so dass man an der selben Stelle auch stehen kann, denn die Fans wollen nur Stehplätze, sie wollen eng miteinander ihre Mannschaft feiern, das steigert das Gemeinschaftsgefühl.

Logen und VIP-Bereiche sind für völlig andere Interessengruppen, hier geht es darum, Menschen kennen zu lernen, Bekannte zu treffen und zum Teil auch darum, geschäftliche Interessen zu pflegen. Der Verein wird durch die VIPs finanziell unterstützt. Das ist legitim. Die Vereine brauchen ihre VIPs. Insofern finde ich die Entwicklung, wie man Stadien heute baut, unserer Gesellschaft angemessen.

Was ist aus dem Green-Goal-Programm der Fifa geworden?

Die Frage des Green-Goal-Programms war: Wie schaffen wir es, Stadien so zu bauen, dass sie weniger Energie verbrauchen, und dass Zuschauer nicht nur mit riesigem Aufwand im Individualverkehr zum Stadion kommen. Wir haben das in Hannover sehr ernst genommen und die Besucherströme auf den öffentlichen Nahverkehr verlegt, beim Bau Material minimiert, recycelbare Materialien eingesetzt und zum Beispiel Trockenurinale eingebaut, die kein Wasser verbrauchen. Auch haben wir uns dagegen gewehrt, dass man das Stadion so eng baut, dass der Rasen nicht mehr wächst. Wir haben in Hannover mit Erfolg ein UV-lichtdurchlässiges Dach entworfen, das den Rasen wachsen lässt und die enormen Kosten des Rasenaustausches vermeidet.

Das Green-Goal-Programm ist eine sehr positive Entwicklung. Aber man kann natürlich nichts dagegen tun, dass die Menschen immer bequemer werden und mit ihrem Auto möglichst direkt ins Stadion fahren, um trockenen Fußes ins Stadion zu gelangen. Zuschauer wollen über große Videotafeln informiert werden, auch über das, was bei der Konkurrenz vor sich geht. Sie wollen im Winter warm sitzen – dafür gibt es schon beheizte Sitze. Man baut sogar schon Stadien, in denen das Dach zugezogen wird, damit Wind und Wetter nicht mehr spürbar sind. Das sind sicherlich keine energiesparenden Maßnahmen.

Gibt es einen Trend hin zum künstlichen Klima in den Stadien?

Ja, irgendwann werden wir so weit kommen, dass Fußball in Hallen auf Kunstrasen gespielt wird. Das wäre das Ende des Freiluftsports. Der Widerspruch, einerseits auf Energieverbrauch achten zu müssen und andererseits eine Rasenheizung bauen zu müssen, ist nicht auflösbar. Auch das Flutlicht wird heute so aufwändig konzipiert, dass ein Ausfall kaum mehr möglich ist, und dass nachts zu spielen kein Risiko bedeutet.

Haben die Fifa-Regularien das Stadion in Hannover nachhaltig verändert?

Ja und Nein. Die Anforderungen der Fifa waren so überhöht, dass sie für Bundesligaspiele nicht mehr greifen. Die Mixed-Zone, wo sich die Spieler mit den Journalisten treffen, sollte zum Beispiel in Hannover während der WM 600 Quadratmeter groß sein. Das braucht kein Bundesliga-Stadion. Nach der WM wird diese Mixed-Zone in Hannover auf etwa die Hälfte reduziert. Die überhöhten Anforderungen der WM für Medien, VIPs und Ehrengäste werden ebensowenig übernommen wie die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen. Aber die Überdachung aller Plätze wird Standard werden. Alles, was der Bequemlichkeit der Zuschauer dient und finanzielle Vorteile bringt, wird beibehalten. Der Sport wird eben immer kommerzieller.

Was würde passieren, wenn die Eintracht aufsteigen würde in die 1. Fußball-Bundesliga?

Man hat vor, auch endlich die Nordkurve auszubauen und zu überdachen. Trotzdem wird man darauf achten, dass das Stadion so intim bleibt, dass es auch für andere Sportarten attraktiv ist.