Nie einen Korb geworfen

Die Helden sind still und verzagt in Steve Buscemis Film „Lonesome Jim“. Sie fühlen sich nicht zu Hause in ihrer austauschbaren Kleinstadt – der Zuschauer aber umso mehr

In der Hitze schätzt man ein wenig Wind, ein bisschen Wegfahren und abends in halb leeren Kinos wehmütige Filme, die vom echten Leben erzählen. Das echte Leben ist normal und nicht voll ausgeleuchtet, wenn’s dunkel ist. Eine einfache Handlung vielleicht, die einem nahe geht. Keine Ahnung.

Eben auf so großartige Weise normal und berührend wie die Geschichte von „Lonesome Jim“. Steve Buscemi hat „Lonesome Jim“ für 500.000 Dollar in nur 16 Tagen gedreht. Buscemis Arbeit als Schauspieler hat das Kino Central schon eine ganze Reihe gewidmet, die jetzt mit seinem dritten Film als Regisseur fortgesetzt wird. Die Handlung spielt in Goshen, einer Kleinstadt in Indiana. Dort ist der Drehbuchautor des Films, James C. Strouse, aufgewachsen. Einige seiner Verwandten spielen mit. Die Vertrautheit mit den Verhältnissen teilt sich in der wehmütigen Leichtigkeit des Films mit.

Goshen wirkt trostlos und austauschbar: die Bars an der Hauptstraße heißen „Riki’s 1“, „Riki’s II“ und „Riki’s III“. Den Bewohnern meint man anzumerken, dass ihnen nur der Mut gefehlt hat, wegzugehen. Jim (Casey Affleck) hatte diesen Mut. In der Anfangsszene kehrt er als erschöpfter Tramper zurück. Mit zwei Koffer in den Händen, einem Rucksack auf dem Rücken klingelt er an der Tür eines durchschnittlichen Einfamilienhauses. Eine Frau öffnet, freut sich überschwänglich, umarmt ihn. Sie will seine Apathie nicht wahrnehmen, ruft die anderen; den etwas steifen, meist schweigenden Vater, den stets niedergeschlagenen Bruder Tim (Kevin Corrigan), die drei kleinen Nichten.

Jim fühlt sich als Gescheiterter – statt in New York ein toller Schriftsteller zu werden, hat er sich als Hundesitter durchschlagen müssen. Zu Hause fühlt er sich nicht; seine Mutter geht ihm auf den Geist, im depressiven Bruder erkennt er sich selbst, der Vater ist ihm fremd. Die Familienverhältnisse sind so normal wie wunderbar gezeichnet.

Was draußen passiert, ist auch schön: In einer Bar lernt Jim die Krankenschwester Anika kennen. Beim ersten Sex im nächtlichen Krankenhaus kommt er in zehn Sekunden. Das ist so schön wie das Leitmotiv der Kinderbasketballmannschaft, die sein Bruder trainiert und die noch nie einen Korb geworfen hat.

Die Helden sind verzagt und still. In einem Gespräch mit Tim räumt Jim ein, verloren zu haben. Aber der eigentliche Superversager wäre doch der Bruder, der noch nie sein Zuhause verlassen hat und in der Fabrik des Vaters arbeitet. Danach fährt Tim gegen einen Baum – wahrscheinlich wollte er sich umbringen. Jim übernimmt dessen Arbeit und Traineramt.

Im Guten erinnert „Lonesome Jim“ manchmal an die Romane Nick Hornbys; mit dem Unterschied, dass am Ende nicht alles auf ein pädagogisches Programm hinausläuft. Eher zufällig entwickeln sich die Dinge. „Lonesome Jim“ ist großartig.

DETLEF KUHLBRODT

„Lonesome Jim“, Regie: Steve Buscemi. Mit Liv Tyler, Casey Affleck, Seymour Cassel, Mary Kay Place, USA 2005, 90 Min. Ab heute im Kino Central, 20.15 Uhr