Gesetzeslücke bei Kinderpornos

Es ist nicht strafbar, Minderjährige nackt vor der Kamera posieren zu lassen. Sachsen-Anhalt will dagegen vorgehen. Bundesjustizministerin Zypries verspricht „Korrekturen“

BERLIN taz ■ Darf ein Mann einem Kind die Hose herunterziehen und die Genitalien ablichten – ganz ohne Strafe? Nein, findet Angela Kolb (SPD), Justizministerin in Sachsen-Anhalt. Sie fordert nun ihre Bundeskollegin Brigitte Zypries (SPD) auf, das Strafrecht zu verschärfen. Kolb spricht von einer „Gesetzeslücke“, die erst unlängst mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs der Öffentlichkeit bewusst geworden ist.

Die Zentralstelle zur Verfolgung jugendgefährdender Schriften der Staatsanwaltschaft Halle hat Kolb auf das Problem aufmerksam gemacht. Die Mitarbeiter überprüfen beschlagnahmte Computer. Etwa 10 bis 15 Prozent der entdeckten Kinderporno-Seiten sind so genannte Posings – Kinder, die in aufreizenden Stellungen fotografiert sind. Ein klarer Fall für den Staatsanwalt, dachten die Mitarbeiter. Doch sie irrten. „Seit Februar haben sie Schwierigkeiten. Sie können Posings nicht mehr verfolgen“, sagt Ute Albersmann, Sprecherin des Justizministeriums in Halle. Denn im Februar verkündete der Bundesgerichtshof ein richtungsweisendes Urteil. Ein Mann, der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war, hatte sich durch die Instanzen geklagt. Ist es schon strafbar, dass er Kinder in Porno-Posen fotografiert hat? Das sollten die Richter klären. Ihr Votum war eindeutig: Für eine Aburteilung sei es notwendig, dass der Täter das Kind zwinge, an sich selbst oder an ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, so der Tenor. Es reiche nicht aus, dass der Täter das Kind dazu bestimmt, vor ihm in sexuell aufreizender Weise zu posieren.

Die Richter verweisen dabei auf das Strafgesetzbuch. Dort steht im Paragraf 176, dass sich strafbar macht, wer „sexuelle Handlungen“ vor einem Kind oder an einem Kind vornimmt oder von einem Kind vornehmen lässt. Das bloße pornografische Abbilden fällt durch dieses Raster. Die Richter äußerten allerdings Skepsis, ob diese Einschränkung auch wirklich „rechtspolitisch gewollt war“. Auch das Justizministerium in Halle tendiert zu der Ansicht, dass es sich lediglich um eine suboptimale Formulierung handelt. Denkbar ist aber auch, dass das Thema bewusst ausgespart blieb – etwa angesichts der Schwierigkeit, das Urlaubsfoto vom FKK-Strand von der Tat eines Kinderschänders abzugrenzen.

So oder so stehen die Chancen gut, dass der Paragraf in seiner heutigen Form bald der Vergangenheit angehört: Im Juni wandte sich Kolb mit ihrer Kritik die Bundeskollegin. Und die zeigte sich einsichtig. „Eine Korrektur ist beabsichtigt“, sagt Henning Plöger, Sprecher des Justizministeriums.

Der Zeitpunkt ist günstig. Zypries ist ohnehin gerade dabei, das Strafrecht zum sexuellen Missbrauch von Kindern nach EU-Vorgaben zu überarbeiten. Im August soll die Novelle im Kabinett verabschiedet werden.

Sollte sie trotz der Willensbekundungen nicht den Erwartungen entsprechen, will Sachsen-Anhalt eine Bundesratsinitiative starten. „Wir müssen klarstellen, wo Missbrauch beginnt“, sagt Albersmann. COSIMA SCHMITT