: „Mein erster Wurf segelte bis an die Hallenwand“
AERODYNAMIK Kai Wicke wurde 2006 Deutscher Meister im Papierflieger-Weitwurf. Sein Flieger rotiert um die eigene Achse, seine Wurftechnik stammt vom Speerwerfen. Heute zeigt er dem Berliner Nachwuchs die Kunst des Faltens und Startens
■ 29, arbeitet als Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik in Hamburg.
taz: Herr Wicke, wie wird man deutscher Meister im Papierfliegen?
Kai Wicke: Vor vier Jahren, ich studierte damals Luft- und Raumfahrttechnik, hing eine Ausschreibung an der TU Berlin: Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft im Papierfliegen. Jeder an der Uni faltete wie verrückt, da habe ich zum Spaß mitgebastelt. Mein Flieger segelte im ersten Versuch an die Wand am anderen Ende der Halle. Mein Dozent für Aerodynamik sagte sofort: Du musst da hin! Die Qualifikation habe ich dann haushoch gewonnen – und schon war ich bei den Deutschen Meisterschaften im Flughafen Tempelhof.
Wie lange haben Sie dafür trainiert?
Ich hatte nur drei Tage Zeit. Meine Kommilitonen und ich haben stundenlang gebastelt, geworfen, ausgewertet und verbessert. Heraus kam der Wettkampf-Flieger. Den warf ich 34,82 Meter weit und war plötzlich deutscher Meister und für die Papierflug-WM in Salzburg qualifiziert.
Wie läuft so eine Papierflug-Weltmeisterschaft ab?
Die Begeisterung war riesig, es kamen bestimmt 1.000 Zuschauer. Austragungsort war ein Hangar mit einer Glaskuppel am Salzburger Flughafen. 48 Länder gingen an den Start, mit jeweils einem Teilnehmer pro Disziplin: Längster Flug, also weit fliegen, Kunstflug, also schön fliegen, und meine Disziplin: der Weitwurf.
Sie landeten am Ende auf dem sechsten Platz.
Leider habe ich die Finalrunde der besten fünf um etwa einen Meter verpasst. Ich kam auf 37,36 Meter, deutscher Rekord, im Finale hätte das fürs Treppchen gereicht. Aber in der Vorrunde haben einige an die 50 Meter geworfen. Gewonnen hat am Ende ein schmächtiger Kroate. Der muss eine besondere Technik haben.
Was ist denn wichtiger: der Flieger oder die Wurftechnik?
Beides. Ich habe viele Jahre Leichtathletik gemacht, eine meiner liebsten Disziplinen war das Speerwerfen. Die Schnellkraft, die ich dabei entwickelt habe, spielt sicher eine Rolle. Aber ohne einen guten Flieger hilft auch die beste Wurftechnik nichts.
Ihr Flieger hat ein sehr ungewöhnliches Flugverhalten.
Er rotiert im Flug um die eigene Achse. Dadurch hat er eine hohe Richtungsstabilität – ein Erfolgsgeheimnis beim Weitwurf.
Und Sie bauen diesen Flieger aus einem ganz gewöhnlichen Blatt Papier?
Ja, das ist Wettbewerbsvoraussetzung! Ein handelsüblicher DIN-A4-Bogen, wie er in jedem Drucker liegt. Kein Schneiden, kein Kleben, kein Reißen. Und nur mit den Händen falten.
Worauf muss man beim Basteln besonders achten?
Wichtig ist vor allem, genau und sauber zu falten. Der Flieger muss symmetrisch sein, sonst fliegt er eine Kurve. Von hinten betrachtet sollte der zusammengedrückte Flieger die Form eines Y haben: im Flug entfaltet er sich und die Tragflächen ergeben eine Waagerechte. Ein anderer Trick ist, die äußeren Enden der Tragflächen nach oben zu klappen: Die sogenannten Winglets verleihen zusätzliche Stabilität.
■ Der „Otto-Lilienthal Papierfliegerwettbewerb“ steigt heute von 11 bis 18 Uhr an der blauen Info-Treppe des Wissenschaftsjahres auf dem Potsdamer Platz. Mitmachen können alle Kinder und Jugendliche von 6 bis 18 Jahren. Die Workshops beginnen zu jeder vollen Stunde.
Klingt so, als seien Sie als Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik klar im Vorteil.
Nein, man braucht nicht die tieferen Zusammenhänge der Strömungslehre zu studieren, um einen guten Papierflieger zu bauen. Das kann jedes Kind! Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell Kinder das lernen. Erst lasse ich sie ihre Flieger basteln – dann zeige ich ihnen meine Tricks. Die Ergebnisse sind verblüffend!
So erstaunlich, dass Sie ihnen bald den Titel abnehmen?
Den habe ich schon verloren, allerdings kampflos. Die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft 2009 hatte ich bereits gewonnen, doch dann kam meine Diplomarbeit dazwischen und ich musste absagen. Aber beim nächsten Mal trete ich wieder an. Wer weiß, vielleicht werde ich dann ja sogar Weltmeister.
INTERVIEW: JULIUS SCHOPHOFF