„NRW-SPD war nie ein linker Kampfverband“

Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte warnt die NRW-SPD vor eiligen Personalentscheidungen

taz: Herr Korte, neuen Umfragen zufolge kennen mehr als 80 Prozent der Bürger keinen SPD-Politiker aus NRW. Beschreibt das passend den Zustand der Partei?

Karl-Rudolf Korte: Das beschreibt den Zustand einer typischen Oppositionspartei in einem Bundesland. Es gibt nichts Schwierigeres, als als Opposition in einem Landtag wahrgenommen zu werden. In NRW erfährt das die SPD nun erstmals seit 39 Jahren.

Weshalb fällt die NRW-SPD so tief?

Die NRW-SPD war über viele Jahrzehnte – vor allem in der Rau-Zeit – eine Staatspartei. Sie hat als Graswurzelpartei das Lebensgefühl der Wähler erreicht und schon im vorpolitischen Raum viele Menschen erreicht. Das alles ist weg. Der Absturz von einer solchen Staatspartei zur Oppositionspartei ist in NRW so drastisch wie in keinem anderen Bundesland.

Sollte die NRW-SPD sich schon jetzt auf einen Spitzenkandidaten einigen, um dem Ministerpräsidenten ein prominentes Gesicht entgegen stellen zu können?

Nein. Es fehlt vor allem an Problemlösungen, welche die Bürger als substanziell erachten. Erst wenn die SPD inhaltliche Verbesserungsvorschläge zur Landespolitik bietet, kann man einen Kandidaten finden. Mit einer Person zu beginnen, ist falsch.

Welche Inhalte sollte die NRW-SPD stärken?

Das Kernthema ist soziale Sicherheit, die Verbindung von Gerechtigkeitsfragen und Fragen der Alltagssicherheit. Allerdings kann dabei der Sozialstaat nur innovativ umgebaut werden. Für einen Ausbau ist kein Geld vorhanden.

Fraktionschefin Hannelore Kraft hat vorgeschlagen, Geld in die Hand zu nehmen. Sie will eine sozialen Grundsicherung und den Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes. Helfen solche eher links anmutenden Vorschläge weiter?

Nein. Die SPD war in Nordrhein-Westfalen nie ein linker Kampfverband. Kein Landesverband ist so unideologisch und pragmatisch wie die NRW-SPD. Ein Linksruck wäre nichts für die Kernwähler der SPD.

Würde eine solche Politik nicht zu einem Kollisionskurs mit der Bundespartei führen?

Sicher, aber das könnte man verstehen. Zunächst muss die Landes-SPD auffallen. Deshalb kann sie jetzt nicht alles nachmachen, was ihre Bundesminister vorschlagen. Etwas Distanz zur großen Koalition in Berlin ist nötig, um wiedererkennbar zu bleiben. Allein reicht das aber nicht aus.

Kann es die NRW-SPD schaffen, den personellen und inhaltlichen Erneuerungsprozess bis zur nächsten Landtagswahl 2010 erfolgreich abzuschließen?

Es gibt in Nordrhein-Westfalen keine strukturelle Mehrheit mehr – weder für die SPD, noch für die CDU. Eine Zufallsmehrheit ist immer möglich. Wer weiß, wie in ein paar Jahren die bundespolitische Großwetterlage ist? Auch die unbekannteste Person kann als Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin innerhalb von ein paar Monaten aufgebaut werden. Für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wäre es viel zu früh, sich über den desolaten Zustand der NRW-SPD zu freuen. Ich bin mir auch sicher, dass er das nicht tut. Dazu ist er viel zu clever. INTERVIEW: KLAUS JANSEN