Das Netz wäre bereit gewesen

STROM Verlangsamte Energiewende: Die Netzagentur hatte stärkeren Zubau vorgesehen, als ihn nun die Große Koalition plant

FREIBURG taz | Der Koalitionsvertrag hatte im Dezember die Bundesnetzagentur überrascht. Denn die Stromnetzbehörde hatte mit einem höheren Ausbauziel der erneuerbaren Energien geplant. Doch nach dem Willen von Union und SPD soll die Entwicklung der Ökostromerzeugung nur noch „in einem gesetzlich festgelegten Ausbaukorridor erfolgen – also gegenüber früheren Plänen gebremst werden. Die Bundesregierung will, dass der Ökostromanteil erst im Jahr 2025 bei 40 bis 45 Prozent liegt und im Jahr 2035 bei 55 bis 60 Prozent. Gegenüber bisherigen Plänen wird der Ausbau um fünf Jahre nach hinten verschoben

Die Behörde ließ durchblicken, dass aus Sicht des Netzausbaus eine Reduzierung der Ökostromziele gar nicht nötig gewesen wäre. Die geplanten Trassen hätten auch einen ambitionierteren Zubau der Ökostromerzeugung verkraftet. Denn das Grundproblem der zukünftigen Stromwirtschaft stellt sich unabhängig davon, ob nun im Jahr 2020 nur 6,5 Gigawatt oder– wie früher einmal angepeilt – 10 Gigawatt Windkraft in den deutschen Meergebieten stehen werden: Es muss in den kommenden Jahren in steigendem Maße Strom von der Küste ins tiefste Binnenland transportiert werden.

Für die Netzagentur, so viel ließ deren Chef Jochen Homann schon nach Vorlage der Koalitionsvereinbarung im Dezember durchblicken, sei eine derart wechselhafte Politik, die Langfristszenarien einer Vorgängerregierung mal eben so umschmeißt, deshalb wenig hilfreich. Denn die Netzbehörde muss in Zeiträumen planen, die weit über die Dauer von Wahlperioden hinausgehen. So soll die neue Trasse Südlink (siehe oben) erst 2022 in Betrieb genommen werden – die Planung und der Bau dauern einfach so lange. Entsprechend ist man bei einem solchen Projekt auf verlässliche Politik angewiesen.

Südlink ist eines von drei großen Neubauprojekten im Zuge der Energiewende. Insgesamt sollen 2.800 Kilometer Trasse neu gebaut und 2.900 Kilometer Stromleitungen optimiert werden.

Was bedeutet das reduzierte Ausbautempo der Solar- und Windkraft nun in der Praxis für die Planer des Übertragungsnetzes? Sind damit womöglich heute schon Netzabschnitte geplant, die künftig gar nicht benötigt werden? Nein, hieß es gestern aus der Regulierungsbehörde, die Hauptleitungen seien auch weiterhin in jedem Fall notwendig. Das jetzt vorgestellte Projekt Südlink hält die Netzagentur also unabhängig von den Szenarien in jedem Fall für unabdingbar

Somit hält es die Netzagentur für ausgeschlossen, dass man durch die gebremsten Ambitionen der Bundesregierung nun zu viele Stromtrassen zu früh ausbauen werde. Ohnehin habe die Behörde in Bonn schon in der Vergangenheit die von den Übertragungsnetzbetreibern vorgeschlagenen Projekte stets sehr kritisch beäugt: Die Unternehmen hätten 90 Netzabschnitte vorgestellt, die sie gerne ausgebaut hätten, die Behörde habe jedoch nur 56 davon als notwendig bestätigt, ließ eine Sprecherin der Netzagentur wissen.BERNWARD JANZING