Späte Sühne verlangt

Die Eltern von Achidi John, der 2001 bei einem gewaltsamen Brechmitteleinsatz ums Leben kam, wollen erneutes Ermittlungsverfahren. Hamburg hat die Brechmittelvergabe zunächst ausgesetzt

„Schmerzhaft, eine Qual und ausgesprochen entwürdigend“

Von Elke Spanner

Die Eltern von Achidi John haben sich nie damit abfinden können, dass der Tod ihres Sohnes ungesühnt bleiben sollte. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht mal ein Ermittlungsverfahren gegen die Ärztin eingeleitet, die dem 19-jährigen Kameruner am 9. Dezember 2001 gewaltsam Brechmittel eingeflößt hatte. Fast fünf Jahre später ist die Rechtslage eine andere: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das Einflößen von Brechmitteln unter Zwang für menschenrechtswidrig erklärt. Deshalb hat Johns Vater Paul Nwabuisi nun erneut bei der Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, ein ordentliches Ermittlungsverfahren aufzunehmen.

Achidi John wurde damals unter dem Verdacht festgenommen, mit Drogen zu handeln. Da er bei der Festnahme Drogenkügelchen verschluckt haben soll, brachten die Beamten ihn zur Brechmittelvergabe ins Rechtsmedizinische Institut am UKE. Dort wurde er von vier Polizisten zu Boden gedrückt und fixiert, während die Ärztin mehrfach versuchte, ihm eine Nasensonde einzuführen. Als ihr das schließlich gelang, kippte sie Brechsaft nach. John brach zusammen. Offenbar hat er mehrere Minuten bewusstlos am Boden gelegen, ehe ein Arzt zu Hilfe eilte. Da war es zu spät. Der 19-Jährige starb.

Strafrechtliche Konsequenzen hatte das nicht. Sein Tod sei auf „eine vorbestehende schwere Herzerkrankung des Achidi John zurückzuführen“ gewesen, befand die Staatsanwaltschaft. Diese Erkrankung sei nicht zu erkennen gewesen, sodass die am Einsatz Beteiligten nicht schuldhaft gehandelt hätten, als sie John der Tortur unterzogen.

Nach dem EGMR-Urteil aber, kontert die Rechtsanwältin des Vaters, Gabriele Heinecke, sei der für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bestehende Anfangsverdacht einer Straftat „nicht mehr zu bestreiten“. Der Gerichtshof für Menschenrechte habe festgestellt, dass der Zwangseinsatz eine „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ darstellt und damit gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Die UKE-Ärztin, die dem 19-Jährigen damals den Brechsaft einflößte, habe offenkundig „einen menschenrechtswidrigen Standpunkt eingenommen“, der letztlich zum Tod von Achidi John geführt habe. Zudem sei für alle Anwesenden offensichtlich gewesen, dass die Prozedur für Achidi John „schmerzhaft, eine Qual, ausgesprochen entwürdigend und damit menschenrechtswidrig war“.

So weit ist die Staatsanwaltschaft in ihrer Beurteilung noch nicht. Sprecher Wolfgang Ehlers mahnt zur Geduld: Seiner Behörde liege noch keine übersetzte und autorisierte Fassung der EGMR-Entscheidung vor. Erst nach deren gründlicher Lektüre könne die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie die Akten von Fällen, die längst geschlossen sind, erneut öffnet.

Dabei ist das Urteil nicht nur für Johns Eltern relevant. Eventuell müssen auch Fälle von Drogendealern neu aufgerollt werden, die nur durch die zwangsweise Brechmittelgabe überführt und verurteilt wurden.

Auch die Justizbehörde hält sich noch mit Konsequenzen aus der EGMR-Entscheidung zurück. Nach deren Bekanntgabe hat sie die Zwangsvergabe von Brechmitteln „bis auf weiteres“ ausgesetzt. Dabei bleibt sie auch heute noch. Erst kommende Woche, sagt Sprecher Carsten Grote, sei die Prüfung des Urteils abgeschlossen. Es zeichne sich allerdings ab, räumt er ein, dass der EGMR als „milderes Mittel“ ansieht, die mutmaßlichen Dealer bis zum natürlichen Ausscheiden in eine Zelle mit spezieller „Drogentoilette“ zu sperren.