Die Ordnung der Dinge hat Vorrang
: Der Trost der Bäume endet im Sommer

„Früher sollen sie / Wälder gebildet haben und Vögel“

Natürlich könnte man jetzt einfach feststellen, wie schön es ist, dass der Bürger den Baum entdeckt, genauer, den durstigen Baum, und ihn tränkt. Mit Wasser aus der eigenen Leitung. Ohne dafür mit Urkunden ausgezeichnet zu werden oder Treuepunkte zu sammeln.

Man kann en passant darüber nachdenken, warum Bäume so etwas wie Bemutterungsgefühle wecken, eigentlich spricht ja die reine Größe dagegen. Vermutlich haben sie in ihrer Unbeweglichkeit etwas Wehrloses und mit etwas gutem Willen ist ihre Form anthropomorph. Dabei sind es ja oft gar nicht die ganz alten oder ganz jungen, sondern die 60, 70-Jährigen, um die man sich Sorgen macht. Bäume im besten Alter sozusagen, diejenigen, die noch nicht auf dem Sprung zum Naturdenkmal sind und doch unsere Großeltern sein könnten, nur unschuldiger in ihrer osmotischen Genügsamkeit.

Man kann noch einen Blick auf die gegenwärtige Lyrik werfen und feststellen, dass Wiese, Feld und ja, Baum, daraus keineswegs verschwunden sind. Obwohl die Dichterin Sarah Kirsch, studierte Biologin, ein Abschiedsgedicht mit dem Titel „Bäume“ geschrieben hat, so schön, dass es hier kurz zitiert sei: „Früher sollen sie / Wälder gebildet haben und Vögel / Auch Libellen genannt kleine / Huhnähnliche Wesen die zu / Singen vermochten schauten herab.“

Und dann, schließlich, kann man sich mit dem Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hamburgs unterhalten und feststellen, dass das Gießen eine schöne Sache ist, aber eben nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit nämlich erstreckt sich bis zum Winter, wenn die Leute Salz streuen, statt Split, wie es dem Baum zuträglicher wäre. Der Split erscheine den Leuten wohl unordentlicher als das Salz, sagt der der Sprecher des BUND, anders sei es nicht zu erklären. Überhaupt scheint das Bemühen Ordnung und Sauberkeit wieder enorm an Fahrt zu gewinnen und äußert sich in immer mehr Anträgen von Gartenbesitzern, denen die Bäume auf ihrem Grundstück zu viel Laub und Schatten verbreiten.

Es mag sein, dass die Baumfäller nicht identisch sind mit den sommerlichen Baumgießern, aber für die Bäume tut die Unterscheidung wenig zur Sache. Der Sprecher des BUND sagt, dass das Gießen zweifellos eine schöne Sache sei, aber dass immer mehr Leute ihre Autos wieder im Hof wüschen, ungeachtet der Pestizide, die dann ins Grundwasser gelangten. Er sagt, dass die Leute abends ihren Rasen mit hunderten von Litern Trinkwasser sprengten, obwohl der sich beim nächsten Regen ohnehin erhole.

Dieses Wasser, sagt der BUND-Mann, wäre entschieden besser bei den Straßenbäumen aufgehoben. Er klagt, dass die Stadt seit Jahren nur noch den alten Baumbestand pflege, aber keine neuen mehr nachpflanze. Er sagt, dass die Städte sich als die grünsten anpriesen und zugleich immer mehr Flächen versiegelten. Der Sprecher des BUND weiß auch nicht, warum die Leute die Sauberkeit neu für sich entdecken. Er seufzt und sagt, dass sie immer noch den „Tempo 100“ Aufkleber auf ihrem Auto hätten. „Aber es interessiert nicht mehr.“ Wäre man textsicherer, hätte man ihm jetzt zurufen müssen, dass er bitte bei Günter Eich nachschlagen solle unter „Ende des Sommers“: Dort hätte er gelesen: „Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume! / Wie gut, dass sie am Sterben teilhaben! / Die Pfirsiche sind geerntet, die Pflaumen färben sich, / während unter dem Brückenbogen die Zeit rauscht....Es heißt Geduld haben. /Bald wird die Vogelschrift entsiegelt, / unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken.“      Friederike Gräff