Bockwurst mal kometenhell

Bosse hat eine neue Platte gemacht. Darauf fusioniert er Berliner Proletentum mit neuer Hamburger Poetenschule, Grunge mit Emo-Core – und lässt seine Band dreist gut am Referenz-Ballast der Rockmusikgeschichte vorbeidampfen

Eigentlich ist Rockmusik ja nicht so schwer. Jedenfalls nicht wegen des Übens. Schwer ist Rockmusik wegen der Vergangenheit. Das führen einem die Rolling Stones alljährlich vor, dass sich was verändert hat mit den Jahrzehnten, die Rock jetzt auf dem Buckel hat. Diese Jahrzehnte muss man nun immer mithören, diese Veränderungen muss der Rocker bedenken. Allerdings: Was ein richtiger Rocker sein will, der scheißt auf so was.

Bosse ist wohl ein richtiger Rocker. Er macht jedenfalls Rockmusik. Und diese Rockmusik ist, auch auf seinem zweiten Album „Guten Morgen, Spinner!“, einfach so hingerockt, als würde sich Bosse nicht allzu viele Gedanken machen über die Jahrzehnte und die Veränderungen. Seine Musik sagt: War alles schon mal da. Und dann schreit sie laut: Ist mir doch egal. Das muss man wahrscheinlich, wenn man fast genauso heißt, wie Bruce Springsteen genannt wird, und sich selbst einen ebenso altmodischen wie „eindeutigen Hang zu Drogen und Alkohol“ diagnostiziert.

Axel Bosse, der „Akki“ genannt wird, stammt aus Braunschweig, kam dann nach Berlin, ist mittlerweile 26 Jahre alt, Vater geworden und nun irgendwie auf dem Weg nach Hamburg. Momentan lebt er so zwischen den Städten, mit einem Zimmer hier, einer neuen Wohnung dort. Aber auch musikalisch trifft dieses Mittendrin ganz gut. Bosse hat gelernt von der Hamburger Schule, der neueren wohlgemerkt. Deren poetische Befindlichkeitserkundungen ohne ironische Absicherung fusioniert er allerdings mit Berliner Ruppigkeit. Das ist hilfreich, wenn die Sentimentalität ihn zu übermannen droht. Wie in „Frankfurt/ Oder“, wo die Zeile „Ich bin froh, dass du da bist“ im Verbund mit einem gewohnt gefühligen Trompeten-Solo von Gaststar Sven Regener nur kurz zur schwerblütigen Liebeserinnerung gerinnt – weil Bosse nicht nur von Liebe, sondern auch von „Bockwurst“ singt. Oder wie in „Ade Euphorie“: Erst ist alles noch ein wenig kitschig „kometenhell“, aber dann liegt da plötzlich ganz salopp „der Sommer vorm Balkon und pennt“.

Es ist eigentlich ganz simpel: Problematische Formulierungen werden durch Lakonie aufgefangen. Oder nennen wir es ruhig: den Prollfaktor. Bosse lässt kaum ein von der Selbstentäußerung erzählendes Rockklischee aus, erinnert dabei aber zum Glück nur selten an Marius Müller-Westernhagen. Öfter aber denkt man, wenn Bosse sich schreiend zu übernehmen scheint und seine Stimme abzuschmieren droht, an Rio Reiser.

Hilfreich ist, dass die Band Bosse, die die Lieder des Songschreibers Bosse umsetzt, eine ungewöhnlich gut miteinander spielende Band ist. Kein Wunder, haben doch Gitarrist Thorsten Sala, Schlagzeuger Björn Krüger und Bassist Theofilos Fotiadis, bevor sie bei Axel Bosse zusammen fanden, bereits in den Bands Heyday und Uncle Ho zusammen gewirkt. Die erlangten jeweils eine gewisse lokale Berühmtheit in Wuppertal, indem sie anglo-amerikanische Blaupausen kopierten. Als Bosse-Band belästigt das Quartett einen nicht mit strukturlosem Geschrammel. Stattdessen kann man auf dem live im Studio eingespielten Album die dampfenden Reste von Grunge hören, durchaus auch den Emo-Rock dieser Tage, unbedingt Gitarrenpop mit einem Hang zum Pathos und ganz einfach ganz viel solide Rockmusik, so archaisch wie kraftvoll. Daran musste sich wahrscheinlich auch mal wieder jemand rantrauen: Rock auf Deutsch – ohne dass einem gleich Deutschrock als Schimpfwort in den Sinn käme.

THOMAS WINKLER

Bosse: „Guten Morgen, Spinner!“ (Capitol/EMI) Record Release-Konzert heute, 20 Uhr, im Postbahnhof; Support: Kira