HAMBURGER SZENE VON FRIEDERIKE GRÄFF
: Im Nicht-Telefonier-Abteil

Ich sage ihr, es sei ein Nicht-Telefonier-Abteil. „Mein Freund ist Lokführer“, sagt sie und dass sie wisse, was im Zug erlaubt sei

Die Frau im Zug sieht aus wie Tausend andere auch, blond, T-Shirt, vielleicht Mitte Zwanzig. Unauffällig. Es ist ein Abteil, in dem man nicht telefonieren soll, sie tut es dennoch, sie tut es ausgiebig. Es gibt Tage, an denen man gut damit leben kann, es gibt gelegentlich andere Tage.

Ich sage ihr, dass es ein Nicht-Telefonier-Abteil sei. Ich sage es vorsichtig. Die Frau ist sehr unfroh. „Das gibt es nicht“, sagt sie. „Mein Freund ist Lokomotivführer“, sagt sie und dass sie wisse, was im Zug erlaubt sei. Sie beginnt ein Telefonat, in dem sie vor allem mitteilt, dass eine Mitreisende völlig bescheuert sei.

Vermutlich raten die Stoiker in einem solchen Fall zu Gleichmut. Ich bin ohne Gleichmut, vielleicht sehe ich auch eine Herausforderung, die man annehmen muss. Ich gehe zum Schaffner, begleitet vom Gefühl, das Achtjährige haben, wenn sie sich bei ihrer Mutter über schlagende Geschwister beschweren. Man hat Recht, aber irgendwie ist es auch demütigend.

Der Schaffner bekräftigt die Existenz von Nicht-Telefonier-Waggons. Die Unauffällige erwähnt den Lokomotiv-Freund. Dann wendet sie sich wieder an mich: „Blödes Arschloch“, sagt sie. Und dass ich das ja nur wagte, weil sie hilflos wirke. „Man sieht sich immer zweimal“, sagt sie. Seitdem betrachte ich die Züge, die nach Kiel fahren, mit Sorge. Vor allem aber frage ich mich, was sie mit hilflos meinte.