Das Montagsinterview
„Ich musste für mich Stopp sagen“

Eine geradlinige Karriere im Kunstbetrieb ist nicht seine Sache: Der Maler Nicolai Schorr ist erfolgreich gescheitert
SIEG ODER SCHEITERN Nicolai Schorr hat einen renommierten Kunstförderpreis gewonnen – obwohl er den Abgesang auf die eigene Malerei inszeniert und sich aus der bildhaften Kunst verabschiedet. Ein Gespräch über Karriere und Rebellion, behütete Nester und die Realität

■ wurde im niedersächsischen Achim geboren und hat an der Hochschule für Künste in Bremen studiert, zuletzt als Meisterschüler bei Peter W. Schäfer im Fachbereich Kunst und Design.

■ Schorr bekam jetzt den Kunstpreis des Freundeskreises der Hochschule für Künste in Bremen. Der gehört mit 15.000 Euro zu den am höchst dotierten Kunstförderpreisen in Deutschland.

■ Neben der Malerei widmet sich Nicolai Schorr inzwischen vor allem der Musik: Zusammen mit Timo Warkus bildet er die Experimental-Folk-Band „The Canoe Man“, für die er Gitarre spielt und auch alle Texte schreibt.

INTERVIEW JAN ZIER

taz: Herr Schorr, Herzlichen Glückwunsch! Sie haben einen der am höchsten dotierten Kunstförderpreise gewonnen.

Nicolai Schorr: Danke.

Sie werden für ein Werk ausgezeichnet, das Ihr Scheitern als Maler inszeniert, mit aufgeschichteten Pinseln und leeren Bilderrahmen.

Scheitern hört sich negativ an. Im Endeffekt lebt die Kunst auch vom Scheitern. Das ist Teil meines Selbstverständnisses, jedes Kunstwerk ist der Versuch, sich etwas anzunähern. Gute Künstler scheitern immer wieder.

In Ihrem Fall ist das Scheitern ein öffentlicher Prozess, von dem man bei anderen auch zu Recht keine Notiz nimmt.

Anscheinend ist trotzdem eine schlüssige Position herausgekommen. Ich war nun mal mit dieser Ausstellung konfrontiert und bin an einem Punkt in meinem Leben, wo sich diese Arbeit sehr aufgedrängt hat. Ich habe nicht gesagt: Ich leide, zeichnet mich aus.

Markiert Ihre Arbeit das Ende einer Entwicklung?

Für mich nicht. Es ist zwar eine Zäsur von der Malerei. Aber daraus ist wieder etwas Neues entstanden. In meinen Texten, meiner Musik geht es ja weiter und ich will das auch nicht aufdröseln. Das ist alles Teil meiner künstlerischen Praxis.

Was kann jetzt noch kommen?

Alles. Ich werde auf jeden Fall wieder zeichnen.

Und malen?

Das wird sich zeigen. Nicht, wenn es sich nicht ziemlich aufdrängt.

Die Jury sprach vom „Abgesang auf die Malerei“.

Das steckt zwar drin. Aber für mich ist es eine Zwischenstation.

Wie kam es zu dieser Zäsur?

Am Anfang des Studiums habe ich hauptsächlich gemalt, weil das mein erster Zugang überhaupt zur Kunst war. Ich habe, noch zu Schulzeiten, irgendwann ein Bild von Francis Bacon gesehen, das hat mich dermaßen umgehauen, dass ich unbedingt auch malen wollte. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich erst mal gucken muss, was mein Material ist und worum es grundsätzlich geht. Wenn ich jetzt einfach weiter male, rufe ich Dinge ab, repräsentiere ich etwas, was vielleicht gar nicht ich selbst bin.

Die Jury hofft, sie kehren in den Schoß der Malerei zurück.

Ich will nichts ausschließen, auch nicht, dass ich in der nächsten Ausstellung wieder in irgendeiner Form Bildhaftes zeigen werde. Ich musste einfach für mich „Stopp“ sagen. Das ist eine stille Position, die der Jetztzeit verschrieben ist: Ich male nicht.

Letztlich geht es bei Bildender Kunst und den White Cubes, in denen sie ausgestellt wird, um Repräsentation. Widerstrebt Ihnen das?

Es ist nicht grundsätzlich schlecht, hat auch seine Berechtigung. Es wird dann zum Problem, wenn man versucht, anderen etwas vorzugaukeln. Repräsentation ist verführerisch, gerade, wenn es um den Markt geht. Da muss man kritisch sein, wenn man substantiiert künstlerisch arbeiten will. Sonst sieht man am Ende nur noch sich selbst.

Wollen Sie Karriere machen?

Nein. Im Kunstbetrieb wollen viele diese Geradlinigkeit in ihrer Karriere, die man auch überall anders haben kann. Allerdings hatte ich nach der Preisverleihung das Gefühl, gegen meinen Willen eingemeindet worden zu sein. Aber ich habe es nicht darauf angelegt.

Was hat Ihr Professor gesagt?

Er freut sich für mich, hat aber auch gesagt, dass er mir dafür den Preis natürlich nicht gegeben hätte. Er ist ein klassischer Verfechter der Malerei. Er hat mir aber auch meine Freiheiten gelassen.

Sie fingen als Maler an …

Ich habe die ersten vier Jahre nur im Atelier herumgehangen. Das war auch ernst gemeint.

dann waren Sie Meisterschüler an der Hochschule für Künste. Da soll die eigene Position gefestigt werden. Bei Ihnen ist das Gegenteil passiert.

Es ist sicher so gedacht, dass man da marktfertiger wird. Aber für mich definiere ich das offener. Für mich hat das Kunststudium mehr damit zu tun, eine Art zu finden, wie man sein Leben gestaltet. Sich selbst als Künstler zu sehen ist mehr, als Kunstwerke zu erschaffen. Das ist eine Haltung. Es ist schwer, zu trennen, was gerade Arbeit ist und was nicht. Man integriert sein Leben in das, was man macht.

Warum haben Sie den Preis verdient?

Die Jury besteht aus sehr vielen kompetenten Menschen. Sie haben in der Arbeit Dinge gesehen, die in mir auch stattgefunden haben. Dann hat die Arbeit auch einen Wert. Und es verdient, ausgezeichnet zu werden.

Sind Sie besser als die anderen sechs MeisterschülerInnen, die nicht ausgezeichnet wurden?

Nein. Es gibt automatisch ein Konkurrenzverhältnis. Aber die Zusammenarbeit war entspannt.

Können Sie von Ihrer Kunst denn auch leben?

Jetzt ja. Vorher nicht. Das schaffen ja nur wenige.

Gehen Sie davon aus, irgendwann dazuzugehören?

Irgendwann, ja. Seit April war ich ganz krass mit der Situation konfrontiert, kein Student mehr zu sein, viel Geld für die Bahn oder Sozialversicherung bezahlen zu müssen. Das war ein harter Realitätsschlag, der mich da getroffen hat. Extreme Situationen verlangen extreme Ehrlichkeit von einem. Und das war eine extreme Situation.

Sie sind aus dem behüteten Nest gefallen.

Ja. Ich hab auch relativ früh im Studium einen Förderpreis bekommen, bin in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen worden. Das berauscht einen ein wenig, gibt einem das Gefühl, schon wer zu sein. Dass es anders ist, merkt man erst am Ende des Studiums. Das ist hart, aber gesund.

Man könnte auch sagen: Sie wurden jahrelang gefördert und verhätschelt – und erweisen sich jetzt als undankbar.

Ich versuche, das eher so zu sehen, dass mir da als Person unterstellt wurde, dass ich die Dinge gut mache. Daraus spricht auch das Vertrauen, dass ich selbst entscheiden kann, wie es weitergeht. Von daher würde ich das eher als Dankbarkeit bezeichnen.

Der Galerist René Block, Entdecker vieler Künstler, hat mal gesagt: Der westliche Künstler könne heute im Grunde nur noch „schöne Bilder malen und versuchen, sie zu verkaufen“.

Jedes gute Bild, jede gute Skulptur, jedes gute Lied oder Video rebelliert in irgendeiner Form, indem es bestimmte Dinge in Frage stellt. Man befragt die Dinge, nimmt ihnen ein Stück weit ihre Fassade weg.

Worum ging es in Ihrer Malerei?

Um die Ablösung vom Vorbild Francis Bacon. Nein, im Ernst: Um die Neuverhandlung und Neubewertung von Flächen und Räumen, um eine Aufhebung von gewissen Normalitäten.

Inzwischen machen Sie vor allem Musik. Würden Sie heute das studieren?

Nein. Ich fand noch nie, dass das Handwerk beim künstlerischen Ausdruck besonders wichtig ist. So ist auch das Kunststudium angelegt. Es geht um den Ausdruck. Beim Musikstudium ist das anders. Da braucht man einen riesigen Katalog von Fertigkeiten, um überhaupt studieren zu können. Das ist sehr technikdominiert. Es gibt Leute, die spielen einen Akkord, und es ist ein sehr tief gehender künstlerischer Ausdruck. Und es gibt Leute, die spielen technisch total versiert – und alles bleibt leer.

Wo würden Sie ihre Musik einordnen?

Das ist schwer zu sagen. Es ist eine Art moderne Folk-Musik. Ich schreibe die Songs und bin sehr beeinflusst vom Singer-Songwritertum der 60er. Leonhard Cohen ist einer meiner größten Einflüsse. Von der Gitarre her komme ich sehr vom Country-Blues. Mein Mitmusiker Timo Warkus kommt eher aus dem Hip-Hop.

Was verbindet Ihre Musik mit Ihren Bildern?

Ich arbeite in einem bekannten, abgesteckten Rahmen und versuche, den durch mich zu filtern. In der Malerei habe ich mich immer im figürlichen Raum bewegt, in der Musik bewegen wir uns in einer klassischen Songstruktur mit Gesang und Gitarre als Instrumentarium, ergänzt um Bass, Keyboard oder eine Human Beat Box. Wir suchen Dinge, die es wert sind, noch entdeckt zu werden, auch wenn die Form schon ausgenudelt ist.