Wofür sie das nur alles tun?

Sergej Lukaschevski, 1975, ist Historiker und Menschenrechtsaktivist.

VON SERGEJ LUKASCHEVSKI

Die Olympischen Spiele in Sotschi sind für die russische Regierung kein sportlicher Wettkampf und auch kein Wirtschaftsprojekt, sondern ein Zeichen des Erfolgs. Ein Symbol der politischen Stabilität, des wirtschaftlichen Aufschwungs und des Fortschritts. Wie schon Olympia in Moskau 1980 sind die Winterspiele in Sotschi ein Imageprojekt. Angesichts der leeren Rentenkassen im Land sticht die Höhe der investierten Finanzmittel ins Auge. Ein genaueres Hinsehen offenbart Russlands grundlegende Probleme.

Die Beobachtungen der letzten Jahre zeigen, dass staatliche Großprojekte die einzige Möglichkeit sind, die Entwicklung einzelner Regionen voranzutreiben. Ob bei der Universiade in Kasan oder dem Wirtschaftsgipfeltreffen der Apec-Staaten in Wladiwostok – die Kosten solcher Entwicklungsimpulse sind enorm: gigantische Ausgaben von Staatsmitteln, zweifelhafte Megaprojekte (wie die Brücke zur Insel Russkij in Wladiwostok), schlechte Qualität der errichteten Bauwerke und natürlich das Ausmaß an Korruption. Bestehende Umweltprobleme der jeweiligen Region wachsen, und Naturschützer, die vor Ort die Öffentlichkeit auf die Missstände aufmerksam machen, sind Repressalien ausgesetzt.

Die Intellektuellen und Kulturschaffenden des Landes fühlen sich liberalen und humanistischen Werten verpflichtet. Sie versuchen mit Kulturprojekten die Aufmerksamkeit der Behörden und der Öffentlichkeit auf die Einzelschicksale der ungerecht Behandelten zu lenken sowie auch auf die ökologischen Perspektiven der Region, die auch durch modernste Hotels und Skipisten nicht verbessert werden können.

Aktive Zivilgesellschaft

Sie benennen Probleme, sammeln Geschichten und schaffen Artefakte. Wenn man den direkten Konflikt mit dem Staatsapparat meidet, keine Behörden oder religiösen Einrichtungen für die Aktionen wählt, kann der Protest relativ frei formuliert werden. Im Unterschied zur Pressefreiheit existiert die Redefreiheit noch.

Doch die Größenverhältnisse sind deutlich: Die Zivilgesellschaft ist zwar sehr aktiv, aber von überschaubarer Größe. Demgegenüber steht ein Staatsapparat, der über riesige Ressourcen und beinahe uneingeschränkte Macht verfügt.

Die von der Zivilgesellschaft thematisierten Probleme werden allem Anschein nach weiter zunehmen. Sowohl die Behörden als auch das Gros der loyalen und passiven Bürger Russlands werden damit konfrontiert und gezwungen sein, eine Lösung dieser Probleme in Angriff zu nehmen. Nur wird bis dahin weniger Geld aus den Ölexporten zur Verfügung stehen, die Probleme werden dringender und der richtige Zeitpunkt versäumt sein. Wofür sie das alles tun?