Liebe auf Wanderschaft

Der ganz normale Dreck des Lebens: Bruno Preisendörfer erzählt in „Die Beleidigungen des Glücks“ herzzerreißend nüchterne Geschichten

Die Liebe liebt das Wandern, heißt es in Schuberts Winterreise klagend und wehmütig. Die neun Geschichten, die Bruno Preisendörfer in seinem Buch „Die Beleidigungen des Glücks“ erzählt, vollziehen genau eine solche Wanderbewegung der Liebe. Allerdings sind sie ganz und gar nicht traurig verträumt, sondern präzise und von irritierender Neutralität.

Bruno Preisendörfer, Jahrgang 1957, der vor fünf Jahren mit einem ultramodernen Berlin-Thriller („Desaster“) sein Debüt unter dem Pseudonym Bruno Richard vorlegte, glänzt in seinem neuen Buch mit klage- und schnörkellosem Stil. Den Protagonisten seiner Erzählungen geht es dreckig. Als sie jung waren, hatten sie Pläne, steckten sie voller Liebe und Lügen, im fortgeschrittenen Alter sind sie krank, voller zerschlagener Hoffnungen und immer noch verliebt.

Aber Preisendörfer verheddert sich nicht im tragischen Potenzial seiner Figuren. Nie lässt er den Leser in traumverlorenen Situationen zurück, weder in glücklichen noch in verdüsterten. Sein Verfahren hierfür ist denkbar einfach, die Durchführung umstandslos. Ruckartig reißt er an der Zeitleine, und man befindet sich sofort dreißig Jahre früher oder zwei Stunden später im Leben seiner Helden. So steht man in der Küche, wo eben noch ein Baugrundstück war, oder übt Klavier, obwohl man als Jugendlicher Selbstmord begehen wollte. In einer Geschichte mit rund siebzig Seiten überwindet Preisendörfer mit Zeitsprüngen mühelos drei Generationen, ohne Entscheidendes auszulassen. Es geht alles sehr schnell mit dem Glück und dem Horror, und doch stehen die wesentlichen Szenen im Leben der Protagonisten immer im Zentrum dieser Erzählungen. Man kann das archaisch nennen – man kann das aber genauso gut lassen, weil hier zwar Urszenen des Lebens beschrieben sind, ihnen aber jedes Pathos fehlt. Die Sätze sind kurz. Zwei Geschichten haben vorweg eine Zusammenfassung. Sie ist so ernüchternd und gleichzeitig so herzzerreißend, dass man sich auf den Text stürzt, um nun eine der beiden vorangekündigten Empfindungen zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Doch daraus wird nichts. Bruno Preisendörfer schreibt herzzerreißend nüchtern. Ein trockener Alkoholiker geht schwimmen. Hans pflanzt einen Baum, der ihm nicht mehr über den Kopf wächst. Eine Frau kauft einen roten Stöckelschuh. Im Titelblatt der Klavieretüden „Schule der Geläufigkeit“ sind zwei Buchstaben durchgestrichen. Alles bleibt trotzdem diskret. Nie werden diese Erzählungen ordinär, nie verletzend. Es ist dies alles der ganz normale Dreck des Lebens: haufenweise, erschütternd, nicht zu vermeiden.

GUSTAV MECHLENBURG

Bruno Preisendörfer: „Die Beleidigungen des Glücks“. Neun Erzählungen. Liebeskind, München 2006, 268 Seiten, 18,90 Euro